Führungskräfte kennen es aus ihrem Alltag nur zu gut: Die meiste Zeit verbringen sie in Meetings oder Telefonkonferenzen, oft im Ein- bis Zwei-Stunden-Takt. Dabei ist die Art der Zusammenkünfte sehr unterschiedlich: Auf ein schwieriges Projektmeeting folgt ein Treffen mit Schlüsselkunden, das Mittagessen mit Kolleg:innen zum informellen Austausch, das Trennungsgespräch mit einem:einer Mitarbeitenden, die Board-Präsentation und schließlich eine Großveranstaltung mit dem Vertrieb. In jedem dieser Treffen geht es für die Führungskraft letztendlich darum, harte Ziele in ihrem Verantwortungsbereich zu erreichen. Doch ungeachtet dieser harten Ziele kann die Führungskraft den „Faktor Mensch“ nicht ausblenden.
Daher passen erfolgreiche Führungskräfte ihr Verhalten und Vorgehen in der Regel intuitiv dem jeweiligen sozialen Kontext an. Das abrupte und schnelle Wechseln der unterschiedlichen sozialen Konstellationen stellt jedoch hohe Anforderungen an die „weichen“ Kompetenzen der Führungskraft. Kommunikation, Teamfähigkeit und emotionale Intelligenz gehören zu den Soft Skills, die über Erfolg und Misserfolg mitentscheiden.
Studien zufolge bestreiten Führungskräfte ihren Alltag mit ca. 50 % Faktenwissen und 50% zwischenmenschlichen Fähigkeiten. Es zeigt sich jedoch ein klarer Trend zu einer noch höheren Gewichtung weicher Kompetenzen. Je komplexer die Problemstellungen, je flacher die Hierarchien und je volatiler das Umfeld, desto wichtiger sind Soft Skills für den Erfolg. Soft Skills sind daher Top Skills. Dennoch finden eine bewusste Auseinandersetzung mit Soft Skills und deren gezieltes Erlernen und Trainieren nur am Rande statt – meist bleibt keine Zeit dafür.
Dabei lassen sich bereits mit moderatem Aufwand Verhaltensmuster optimieren, um Missverständnisse, Konflikte und Abwehrreaktionen zu vermeiden. Denn es gilt, die Absicht in Einklang mit der erzielten Wirkung zu bringen. Zwar wird der Erfolg einer Führungskraft immer am Erreichen harter Ziele und nicht an gut gemeinten Absichten gemessen. Gerade deshalb ist es unerlässlich, dass die Führungskraft mit ihrem Verhalten auch das erreicht, was sie erreichen will. Denn dem Erreichen von Zielen geht eine Absicht-Verhalten-Wirkung-Kette voraus, die von der Führungskraft dann effektiv genutzt werden kann, wenn sie emotionale Intelligenz in anspruchsvollen zwischenmenschlichen Situationen klug einzusetzen weiß.
Soft Skills sind Top Skills – Wie steht es um Ihre emotionale Intelligenz?
So wie Softwareentwicklung, Projektmanagement oder Personalauswahl nicht ohne Tool-Sets auskommen, so erfordern auch die sehr verschiedenen Kommunikationssituationen des Führungsalltags ein breites und ausgefeiltes sozio-emotionales Handlungsrepertoire. Es ist offensichtlich, dass in einem Trennungsgespräch andere Kompetenzen notwendig sind als in einem Bord-Meeting oder dem Gespräch mit einem verärgerten Schlüsselkunden. Jede Führungskraft hat bereits ein hohes soziales Kompetenz-Level entwickelt, sonst wäre sie nicht da, wo ist. Die gezielte Weiterentwicklung dieser Kompetenzen wird jedoch meist dem Zufall, willkürlichen Erfahrungen und dem unbewussten Lernen überlassen. Dabei verlangt gerade der hohe Anspruch, den Führungskräfte an sich selbst stellen, ein gezieltes, professionelles Herangehen an diese Entwicklungsaufgabe.
Nach Daniel Goleman, der das Konzept der emotionalen Intelligenz in Bezug auf Führung entwickelt hat, sind vor allem fünf Kompetenzbereiche relevant: Selbstwahrnehmung, Selbstregulierung, Empathie, Motivation und Geschick im Gestalten sozialer Beziehungen.
Lassen Sie sich zu einer kleinen Übung einladen. Schätzen Sie sich doch im Folgenden selbst bezüglich dieser fünf Kompetenzbereiche ein und bewerten Sie Ihr Kompetenz-Level auf einer Skala von eins (weniger ausgeprägt) bis fünf (sehr ausgeprägt):
Selbstwahrnehmung
Die Fähigkeit, eigene Emotionen, Stimmungen und Gefühle zu verstehen und die Wirkung des eigenen Handelns auf andere gut einzuschätzen und vorauszusagen.Selbstregulierung
Die Reife und Professionalität, hohen sozialen Druck ohne Rückzugs- oder Fluchttendenzen auszuhalten und eigene Emotionen situationsspezifisch zu steuern.Empathie
Die Fähigkeit, unterschiedliche Anspruchsgruppen in ihrer Sprach- und Denkwelt zu erreichen sowie komplexe soziale Situationen richtig zu erfassen und einzuschätzen..Motivation
Der Mut, ins Risiko zu gehen, Stellung zu beziehen, Konflikte anzusprechen sowie in konstruktivem Geist auszutragen, als auch die Fähigkeit, andere Menschen für ein Vorhaben zu gewinnen.Gestaltung sozialer Beziehungen
Die Fähigkeit, zu den unterschiedlichsten Anspruchsgruppen gute Beziehungen aufzubauen, sie sowohl im Einzelgespräch als auch in Gruppendiskussionen und bei Vorträgen zu erreichen und tragfähige Beziehungen zu entwickeln.Wenn Sie mit Ihrer Selbsteinschätzung fertig sind, gehen Sie bitte einen Schritt weiter – versetzen Sie sich gedanklich in die Rolle Ihres Vorgesetzten. Was würde er über Ihren Stand in den fünf Kompetenzbereichen sagen?
Gehen Sie nun noch einen Schritt weiter – versetzen Sie sich gedanklich in die Rolle eines Ihrer Mitarbeitenden. Schätzen Sie Ihre Kompetenzbereiche aus Sicht der Mitarbeitenden ein. Wie ist seine Sicht bezogen auf Ihre Kompetenzen?
Vergleichen und reflektieren Sie nun die Ergebnisse. Welche Rolle ist Ihnen leicht oder besonders schwer gefallen, wo spüren Sie Unsicherheit, wo gibt es Ausreißer und Abweichungen in den Einschätzungen? Was sind zusammenfassend Ihre drei wichtigsten Erkenntnisse?
Wichtig bei dieser Übung ist weniger der Wert auf der Skala. Emotionale Intelligenz „hat“ man nicht – sie wird einem „zugeschrieben“. Deswegen ist vor allem ein Aspekt besonders relevant: die gedankliche Reflexion der Erfahrung, die Sie mit der Übung gemacht haben, insbesondere mit dem Perspektivenwechsel und dem bewussten Abgleich von Selbst- und Fremdbild. Denn solch eine Reflexion ist ein erster zur gezielten Entwicklung von emotionaler Intelligenz und den entsprechenden Kompetenzen.
Gezielt das Kompetenzlevel erhöhen
Bei emotionaler Intelligenz ist es wie beim IQ – es gibt eine angeborene Disposition, die jedoch durch Erfahrungen und Lernen erheblich verändert werden kann. Die häufigsten Lernstrategien sind „Abschauen“, wie andere etwas machen, und „Ausprobieren“, also mehr von dem anwenden, was funktioniert, und weniger von dem, was nicht funktioniert. Beide Strategien werden meist intuitiv, unbewusst eingesetzt. Eine steilere Lernkurve ist durch bewusstes, reflektierendes Lernen möglich. Voraussetzung dafür ist das periodische Verlassen des Geschäftsalltags (Boxenstopp) zwecks Standortbestimmung, Übung und der Planung der nächsten Lernschritte.
Ein solcher Boxenstopp können ein persönlicher (gut vorbereiteter) Rückzug, eine Coaching-Session oder eine entsprechende Seminarveranstaltung sein. Der grundsätzliche Ablauf hat immer die gleiche Struktur:
Rückblick – Welcher der fünf Kompetenzbereiche war in letzter Zeit für mich relevant, in welchen sozio-emotionalen Situationen habe ich meinen Ansprüchen an mich selbst genügt, welche Situationen waren kritisch, wo stehe ich aktuell?
Übungen und Perspektivenwechsel – Bewussten Zugang zu meinen Verhaltensmustern und zu implizitem Wissen schaffen, gezielte Selbsthinterfragung auf der Metaebene, durch Selbstbild- und Fremdbildabgleich den eigenen Wirkungsgrad erkunden und neue Lösungsmuster entdecken.
Lernziele setzen – Einzelne Gebiete herausgreifen, in denen ein Veränderung erzielt werden soll, konkrete Verhaltensänderungen einleiten und Kriterien für Lernfortschritte festlegen.
Inhaltliche und „harte“ Aspekte dienen beim Training von Soft Skills nur als Anlass; die Arbeit vollzieht sich fast ausschließlich auf einer Meta-, Prozess- und Entwicklungsebene. Ein Fortschritt stellt sich ein, wenn die Selbsterkenntnis geschärft als auch Wahrnehmungs- und Beobachtungsfähigkeit erhöht werden. Der bewusste Zugang zu etablierten Verhaltensmustern stellt hohe Ansprüche und ist vor allem anfänglich kaum ohne Begleitung möglich. Ohne diesen Zugang sind Veränderungen jedoch schwer umsetzbar, schließlich war das bisherige Verhalten ein langjähriger Begleiter auf einem erfolgreichen Lebensweg. Die gezielte Erweiterung des Handlungsrepertoires setzt jedoch Bewusstheit gerade im Umgang mit den eigenen sozio-emotionalen Verhaltensweisen voraus. Dies gilt insbesondere für stark emotional geladene Situationen, wie beispielsweise ein Streitgespräch. Wenn die Kommunikation in einer solchen Situation missglückt, weiß man häufig nicht, woran es gelegen hat.
Coachings und Seminare bieten die Möglichkeit, Soft Skills mit einem übersichtlichen Zeitaufwand zu verbessern. Denn anders als dem Leser der umfangreichen Ratgebendenliteratur steht dem Seminarteilnehmenden eine Labor-Umgebung zur Verfügung, in der Fehler keine negativen Auswirkungen haben und unter professioneller Anleitung der Austausch mit Gleichgesinnten möglich ist.