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Führung zwischen Talententwicklung und Selbstbestimmtheit?

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Talent Management für ein Unternehmen zu verantworten ist mittlerweile zur strategischen und für den Unternehmenserfolg höchst relevanten Aufgabe geworden. In vielen Unternehmen ist daher die klassische Personalentwicklung gereift: angereichert durch eine im Gleichschritt einhergehende Organisationsentwicklung und verbunden mit dem Anspruch, Talente für das Unternehme zu gewinnen, zu halten und zu entwickeln.

Ziel ist es, Menschen unter bestmöglicher Nutzung vorhandener Potenziale in passende und/oder weiterführende Funktionen zu bringen. Entstanden ist damit ein systemischer Ansatz; es wird gemessen, geregelt und gesteuert: Talent MANAGEMENT eben. Besonders die Anforderungen an wirksame (nachhaltige?) Führung – und die Frage, wie Führungskräfte ihre Talente, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, in der Entwicklung unterstützen sollten werden damit immer anspruchsvoller.

Führung gibt Orientierung – auch für die Ausrichtung der Qualifizierung

Die Welt dreht sich schneller und ist komplexer denn je: Digitalisierung, Transformationsdruck, instabile politische Verhältnisse in der Welt, tendenziell bzgl. der Anzahl und Auswirkung zunehmende Naturkatastrophen, rapide abnehmende Halbwertzeit von Wissen, zuletzt eine Pandemie. Natürlich muss Führung auch in diesen Zeiten Orientierung geben – auch für die Ausrichtung der Qualifizierung. Zwar kann Lernen Selbstzweck sein und eine hohe persönliche Befriedigung verschaffen, im betrieblichen Kontext braucht es jedoch das Zielbild, auf das hin ausgerichtet Qualifizierung betrieben werden soll.

Führung schließt die Lücke zwischen Mensch und Organisation…… lautet eine der kürzesten und, wie ich finde, intelligentesten Definitionen von Führung. Der Blick auf den Haufe-Quadranten (siehe Abbildung) bestätigt diese Definition. Er macht aber auch deutlich, dass Führung mit zunehmender Freiheit (bis hin zur Selbstorganisation) und mit zunehmender Selbstständigkeit der Mitarbeitenden komplexer, anspruchsvoller und fordernder wird.

Abbildung Haufe Quadrant 

Dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anspruchsvoller werden, lässt sich am deutlich erkennbaren Trend zur Demokratisierung der Arbeit belegen. Auch der Anspruch zur Partizipation an Entscheidungen, die z.B. nicht den eigenen Verantwortungsbereich betreffen, sowie der unverkennbare Trend zur Agilität steigen.

Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Führungskräfte in der VUCA-Welt (VUCA steht für Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity – also Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit): Sie sollten O empathisch und authentisch sein – was in dieser Welt fast zwangsläufig bedeuten muss, eben nicht alles zu kennen, zu wissen oder vorherzusehen. Das stellt hohe Ansprüche an die Reife einer Führungskraft, die nicht mehr allumfassend wissen kann, wohin die Reise geht. In vielen Branchen ist Führen über Wissensvorsprung schlicht nicht mehr möglich – und auch die wohlwollende Begleitung einer beruflichen und persönlichen Entwicklung kann damit nicht mehr alleine auf der Vermittlung von Fachwissen beruhen.

Sich selbst und anderen das einzugestehen verlangt eine weit entwickelte Persönlichkeit und das nötige Selbstbewusstsein. Und: die Fähigkeit, sich nicht nur auf sich selbst zu verlassen, sondern gerade auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Vertrauen zu schenken. Nicht grundlos sprechen wir in diesem Zusammenhang von der Reife einer Führungskraft. Hatte doch schon Stephen Corvey sie definiert als eine Funktion von Mut und Rücksicht; der Fähigkeit einerseits Orientierung zu geben und Dinge durchzusetzen, andererseits sich bewusst zu Gunsten anderer zurückzunehmen, wenn dadurch eine höhere Wirksamkeit entsteht.

Erfolg muss jede(r) selbst definieren – und die Wege dorthin auch

Diesen Gedanken konsequent auf Lernen und Entwicklung zu übertragen führt uns zu folgender Einsicht: Die Führungskraft als Vordenker von Entwicklung hat ausgedient – sie soll zwar weiterhin eigene Gedanken und Erkenntnisse einbringen, muss aber vor allem Raum und Zeit zur Reflexion schaffen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anleiten, diese bestmöglich zu nutzen. Am Anfang steht dabei vor allem die eigene Erkenntnis, wohin eine Entwicklung führen soll.

In einem interessanten Langzeitprojekt der Haufe Akademie (Projekt S.MILE ), zeigt sich auf eindrucksvolle Weise, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einem bestimmten – und ehrlicherweise bereits sehr frühen – Punkt ihrer Entwicklungsreise feststecken, weil sie für sich keine Orientierung bzgl. des persönlichen Weges haben. Es brauchte die externe Intervention, die im Wesentlichen darin besteht, einen geschützten Raum zu schaffen und die Zeit zur Reflexion zu geben – dann kann die Reise weitergehen ….

Interessanterweise zeigt sich auch durchgängig und völlig unabhängig vom beruflichen Hintergrund der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Anspruch, dass eine künftige berufliche Entwicklung mit einem hohen Maß an Selbstwirksamkeit, Selbstverantwortung und Selbstzufriedenheit verbunden sein müsse. Die eingeschlagenen Wege sind höchst unterschiedlich – das Muster dahinter jedoch immer sehr ähnlich.

Für die Führungskraft als Manager der Entwicklung von Mitarbeitenden bedeutet das:

  1. Zeit und Unterstützung geben, Klarheit über die eigene Motivation und Entwicklungsrichtung zu gewinnen („peronal why“)
  2. Orientierung zu den Zielen des Unternehmens und den Entwicklungsmöglichkeiten zu geben; eine begründete Einschätzung des weiterführenden Potenzials abgeben („company why“)
  3. Unternehmensmotiv und individuelles Motiv der Mitarbeitenden möglichst in Einklang bringen – und die Mitarbeitenden als Sparringspartneroder Coach zu beraten bzw. zu begleiten.
  4. Freiräume geben und helfen, diese auszugestalten.
  5.  „Hilfe zur Selbsthilfe” leisten.

In der Tat: der Umgang mit Freiheit für Entwicklung im Unternehmen muss gelernt sein, um einen Nutzen daraus ziehen zu können.
Das Beispiel einer Darmstädter Unternehmerin macht das klar: Die Geschäftsführerin hatte die gute Idee, allen Mitarbeitenden ein eigenes Budget für Weiterbildung zur Verfügung zu stellen – und sie selbst über dessen Verwendung entscheiden zu lassen. Der Ansatz dahinter: Vertrauen in die Menschen und die Annahme, dass die selbst am besten wissen, welche Art Qualifizierung („ob ein Seminar, ein Coaching oder ein Buch …“) hilfreich wäre.

Soweit – so gut. Nach dem ersten Jahr war das ganze Geld noch da, niemand hatte irgendetwas in Sachen eigener Qualifizierung unternommen. Die Unternehmerin lud daher einmal im Quartal zum Gespräch, um mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Weiterbildungsfragen zu erörtern. Dabei geht es weniger um konkrete Beratung als vielmehr um den Impuls, sich selbst damit auseinanderzusetzen. Seither funktioniert es …

Fazit:
Ein gut durchdachtes und strukturiertes Talent Management, geprägt von Steuerung und Orientierung, ist wichtige Führungsaufgabe Es steht dabei nicht im Widerspruch zu Selbstlernen, Selbstwirksamkeit und Selbstverantwortung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen. Im Gegenteil: Talent Management formt die Strukturen, in denen sich selbstgesteuertes, lebenslanges Lernen erst entwickeln kann. Die Vision einer tatsächlich lernenden Organisation basiert auf zwei Dingen: der wirksamen Architektur einerseits, den intrinsisch lernmotivierten Menschen andererseits. Diese Balance zu gestalten ist eine Kunst und Führungsaufgabe zugleich.

Überhaupt scheint „Balance” das Geheimnis nachhaltig erfolgreicher Führung und erfolgreichen Talent Managements in Zukunft zu sein:
Balance zwischen Steuerung und Freiheit, Orientierung und laufen lassen, Struktur und Selbstverantwortung, Autonomie und Zugehörigkeit.
Wie bereits zu Anfang gesagt: Verantwortung für die Entwicklung von Menschen zu übernehmen, wird anspruchsvoller denn je. Aber eigentlich ist das doch eine gute Nachricht.

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Über den:die Autor:in

Torsten Bittlingmaier

arbeitet als Berater, Coach und Referent. Er ist ein erfahrener Personalmanager mit umfangreichem Know-how in sämtlichen Feldern der operativen und strategischen, auch internationalen, Personalarbeit. Seine Expertise gewann Bittlingmaier unter anderem in führenden Positionen des Personalmanagements bei der Linde AG, MAN, der Software AG und der Deutschen Telekom.

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