Agile Verwaltung: Methoden und Praktiken für die Umsetzung

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Die Anforderungen an die öffentliche Verwaltung steigen: Zum einen wird von ihr verlangt, für Stabilität in der Gesellschaft zu sorgen und den hoheitlichen Aufgaben zu genügen. Zum anderen werfen ihre direkten Nutzer:innen ihr Unbeweglichkeit, Statik und zu viel Bürokratie vor. Ein schwieriger Spagat. Dazu kommen neue Technologien, die Prozesse und Arbeitsabläufe digitalisieren. Die „neue alte“ Generation an Bürger:innen hat beispielsweise andere Vorstellungen davon, was der öffentliche Dienst zu leisten hat, als die „alte“ Generation. Die neuen Anforderungen wirken sich auf die Arbeitsweise im öffentlichen Dienst aus: Neue Themen und Projekte passen nicht in „alte“ Strukturen. Sie lassen sich beispielsweise nicht wie gewohnt einem bestimmten Zuständigkeitsbereich zuordnen, sondern reichen über Abteilungsgrenzen hinaus.

Mit agileren Arbeitsweisen können Verwaltungen besser auf die neuen Anforderungen reagieren und dem neuen Selbstverständnis vom Dienstleister statt Verwalter gerecht werden. Die moderne Verwaltung bietet Service statt Administration. Dabei braucht es nicht sofort einen umfassenden Kulturwandel Richtung Agilität. Bereits die Einführung agiler Methoden in Einzelprojekten kann dafür sorgen, dass Mitarbeiter:innen des öffentlichen Dienstes effektiver mit den steigenden Anforderungen umgehen – ohne direkt eine agile Transformation zu initiieren.

Definition und Entwicklung von Agilität

Das Konzept von Agilität stammt ursprünglich aus der Softwareentwicklung. Da die klassischen Entwicklungsmethoden als zu starr galten, um schnell passende Ergebnisse zu erzielen, forderten Sonftwareentwickler:innen um die Jahrtausendwende eine neue Vorgehensweise in der Entwicklung. Diese sollte schneller und flexibler werden. Entwickler:innen wollten mit dieser Vorgehensweise Fehler frühzeitiger entdecken und beheben sowie wendiger auf Anpassungswünsche der Kund:innen eingehen können. Die Grundsätze des Konzepts und die daraus gezogenen Erkenntnisse hielten die Entwickler:innen 2001 im „Agilen Manifest“ fest.

Seitdem hat sich das Konzept über die Grenzen der Softwareentwicklung hinaus entwickelt und kommt in verschiedensten Bereichen einer Organisation zum Einsatz. Das grundsätzliche Ziel bleibt dabei bestehen: Mit agilen Methoden sollen Prozesse schneller, flexibler und kundenorientierter ablaufen und dadurch bestmögliche Ergebnisse erzielen. Die bekanntesten agilen Methoden sind Scrum, Design Thinking und Kanban.

Hinter Scrum versteckt sich eine agile Projektmanagement-Methode. Wird ein Projekt mit Scrum gemanagt, arbeiten Einzelteams während festgelegter „Sprints“ an ihren individuellen Aufgabenpaketen. In vorab definierten Intervallen kommen die Teams zusammen und evaluieren das Erarbeitete. Ergeben sich Änderungen, werden diese im nächsten „Sprint“ umgesetzt. Die Aufteilung des Projekts in kleine Zwischenschritte erlaubt es den Teammitgliedern, ohne zu strenge Vorgaben in einem gewissen Rahmen effizient zu arbeiten.

Beispiel: In einer Kommune steht ein Stadtentwicklungsprojekt an. Eine neue Sportanlage soll gebaut werden. Das Projektteam organisiert sich nach der Scrum-Methode und evaluiert in regelmäßigen Sprint-Reviews die Zwischenergebnisse. Ein Team berichtet nach einem Austausch mit zukünftigen Nutzer:innen beispielsweise davon, dass wichtige Teile der Infrastruktur der Anlage in der Planung fehlen. Das wiederum führt zur Anpassung des Zeitplans, was wiederum mit einer veränderten Kommunikation einhergeht. Ziel des Ganzen: Eine für alle Nutzer:innen optimale Sportanlage.

Die Kanban-Methode möchte Ablaufzeiten einzelner Projekte und Aufgaben drastisch verkürzen, indem sie auf einem Kanban-Board aktuelle Aufgaben in drei Spalten sammelt: „Backlog“, „In Bearbeitung“ und „Erledigt“. Auf dem Board bringen Mitarbeiter:innen ihre jeweiligen Arbeitspakete mit einem Post-it o. Ä. an. Der Clou: Jede Spalte ist begrenzt und darf nur mit einer bestimmten Anzahl an Arbeitspaketen befüllt werden. Das bedeutet, dass Arbeitspakete erst dann angefangen werden, wenn die Ressourcen dafür im Team überhaupt frei sind.

Beispiel: Verwaltungen haben oft mit Überlastung zu kämpfen. Die Prozesse sind komplex und dauern. Bürger:innen warten lange auf die Bearbeitung ihrer Anliegen. Organisiert sich ein Zuständigkeitsbereich über ein Kanban-Board, können Mitarbeiter:innen die aktuelle Auslastung visualisieren – und so potenzielle Engpässe früh erkennen und entsprechend reagieren.

Beim Design Thinking geht es darum, in enger Kundenabsprache innovative Prototypen zu kreieren. Im Kreativprozess werden dadurch Ideen entwickelt, die in festen Strukturen eventuell nicht entstanden wären.

Beispiel: Design Thinking eignet sich besonders für ein kreatives Verwaltungsprojekt, beispielsweise die Konzeptionierung einer „modernen Kommune“. Wie lassen sich mit neuen Technologien die Lebens- und Standortqualität der Bürger:innen verbessern? Anhand von Umfragen und Datenanalysen entwickeln Mitarbeiter:innen in einem ersten Schritt im Design Thinking Prozess ein Verständnis für die Bürger:innen. Anschließend entwickeln sie neue Lösungen – losgelöst von den üblichen Rahmenbedingungen. Das schafft Raum für kreative Ideen!

Das Ziel agiler Methoden ist es also, in kleinen, oftmals bereichsübergreifenden Teams effizienter, kollaborativer und innovativer zu arbeiten und die Organisation dadurch voranzubringen.

Agile Verwaltung: Zufriedenere Bürger:innen und effizientere Prozesse

In der Verwaltung können agile Methoden Prozesse effizienter gestalten und zu innovativeren Lösungen beitragen. Das wiederum wirkt sich positiv auf die Stimmung der Mitarbeiter:innen und die Wahrnehmung der Bürger:innen aus: Erstere sind weniger überlastet. Sie bewältigen alle hoheitlichen Aufgaben, die sie als Teil eines Gemeinwesens kraft öffentlichen Rechts zu erfüllen haben. Letztere fühlen sich besser verstanden und bedient. Der Spagat scheint geschafft.

Mehr Effizienz und eine höhere Mitarbeiter:innenzufriedenheit erreichen Sie, wenn einzelne Teams in größeren Verwaltungsprojekten enger zusammenarbeiten. Soll in einem Bundesland beispielsweise ein Windpark errichtet werden, ist dafür grundsätzlich das Landesumweltamt zuständig. Doch weitere 12 Behörden mit jeweils unterschiedlichen Sachbearbeiter:innen sind ebenfalls am Projekt beteiligt. Diese tauschen sich oft nur selten untereinander aus. Meldet die Naturschutzbehörde beispielsweise, dass 5 der geplanten 25 Windräder in ein naturgeschütztes Gebieten mit gefährdeten Tierarten fallen, erfahren die Sachbearbeiter:innen erst einmal nichts davon. Sie prüfen ihre eigenen Sachverhalte weiter. Auch wenn ein:e Sachbearbeiter:in krankheitsbedingt ausfällt, kommt es zu keinem Austausch über die Grenzen der Behörden hinweg. Dieser Prozess frisst Zeit und wertvolle Ressourcen, die anderweitig besser eingesetzt wären. Ein agiles, behördenübergreifendes Team kommt hier deutlich schneller voran. Teammitglieder stehen in regelmäßigem Kontakt und erarbeiten gemeinsam Lösungen und Ideen, die über konventionelle Vorstellungen hinaus gehen. Ein Gewinn – für alle Beteiligten ¹.

Eine höhere Nutzer:innenzufriedenheit beschreibt folgendes Beispiel aus der Jugendhilfe: Ein sozial auffälliger Jugendlicher lässt sich nicht auf von der Verwaltung vorgeschlagene Maßnahmen ein. Keine der vorgeschriebenen Maßnahmen aus dem Katalog scheint zu greifen. Anstatt den Jugendlichen abzuschreiben, da er nicht in die vorgefertigten Muster passt, können Sachbearbeiter:innen mit Hilfe agiler Methoden neue Lösungen finden, die zwar außerhalb des „normalen“ Maßnahmenkatalogs liegen, dafür aber in diesem einen Fall passen und den Jugendlichen erfolgreich in die Gesellschaft integrieren. Das Team entschließt sich also dazu, die agile Methode „Scrum“ einzusetzen. Während der Sprints definiert das Team Einzelmaßnahmen, beispielsweise die Integration des Jugendlichen in einem ortsnahen Fußballverein. Nach einer vorab festgelegten Zeit trifft sich das Team, um die Maßnahme zu evaluieren und eventuell anzupassen. Hat der Jugendliche erste, positive Erfahrungen im Verein gemacht? Ist die Sportart die richtige? Anstatt einen langfristig angelegten Maßnahmenplan fest zu definieren und dem Jugendlichen „überzustülpen“, arbeiten die zuständigen Sachbearbeiter:innen „agil“. In einer Art kontinuierlichem Experimentiermodus werten sie Erfahrungen schnell und gezielt aus, bessern nach, wo nötig und finden so die für den Jugendlichen perfekte Lösung.

Umsetzung: Agile Praktiken in der Verwaltung etablieren

Um in der Verwaltung agiler zu arbeiten, braucht es nicht sofort das groß angelegte Transformationsprojekt. Schon kleine Maßnahmen, wie der Einsatz agiler Methoden in ausgewählten Projekten, sorgen für mehr Effizienz und eine höhere Zufriedenheit von Mitarbeiter:innen und Bürger:innen. Laufen diese Projekte gut, etablieren sich die Methoden und finden über die Projektgrenzen hinaus erneuten Einsatz. Es sind besonders die kleinen Schritte, die auf dem Weg Richtung agile Verwaltung den Unterschied machen:

  1. Crossfunktionale Teams: In der öffentlichen Verwaltung herrscht oft noch Denken in Zuständigkeiten vor. Für jede Aufgabe ist ein bestimmtes Amt oder ein spezifisches Sachgebiet zuständig. Für die Integration von Flüchtenden ist beispielsweise Amt X zuständig. Für die Betreuung von sozial schwachen Jugendlichen das Sachgebiet Y. Dabei werden die Aufgaben zunehmend interdisziplinärer. Crossfunktionale Teams reagieren agiler auf neue Herausforderungen, da sie unterschiedliche Perspektiven mitbringen.
  2. Einbeziehung von Anspruchsgruppen: Eine agile Verwaltung zieht die Anspruchsberechtigten und damit auch die Bürger:innen aktiv in Prozesse mit ein. Nehmen wir als Beispiel die selbst ernannte agile Kommune Ängelholm am Öresund in Schweden. Seit 2015 bindet die Kommune Asylberechtigte in die Besprechungen des Sachgebiets mit ein. So sitzt der 18-jährige Ibrahim als Fachmann mit am Tisch, wenn über Arbeitsvermittlung, Berufs- und Studienberatung oder Erwachsenenbildung diskutiert wird² . Das sichert nicht nur die Zufriedenheit der Nutzer:innen, sondern sorgt gleichzeitig dafür, dass Maßnahmen zielgerichtet wirken und nicht im Sand verlaufen.
  3. Regelmäßiges Feedback: Grundvoraussetzung für eine agile Arbeitsweise ist das regelmäßige Geben und Nehmen von Feedback. Denn nur durch den Blick von außen (oder innen) können Prozesse kontinuierlich reevaluiert und optimiert werden. In der Scrum-Methode wird diese Grundvoraussetzung beispielsweise durch den Scrum-Master sichergestellt, der als Moderator und Coach regelmäßiges Feedback gibt, ohne Handlungsanweisungen auszusprechen. Weiteres Beispiel: „Stand-up-Meetings“, während derer Teams ein- bis zweimal die Woche in kurzen Besprechungen über den aktuellen Status in einem Projekt reflektieren.

¹ Forum agile Verwaltung, „Agile Arbeitsmethoden: Welcher Nutzen für die öffentliche Verwaltung?“. https://agile-verwaltung.org/was-bedeutet-agile-verwaltung/was-heisst-agile-verwaltung/.
² https://agile-verwaltung.org/was-bedeutet-agile-verwaltung/was-heisst-agile-verwaltung/.

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Über den:die Autor:in

Dr. Emily Dang

Dr. Emily Dang ist Produktmanagerin für den Bereich Entgeltabrechnung und TVöD der Haufe Akademie.
Sie war zuvor bei einem namhaften Versicherungsunternehmen als Trainerin für den Außen- und Innendienst tätig und verfügt über umfangreiche Erfahrungen in der Konzeption und Umsetzung von Bildungsmaßnahmen.

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