Sinn- und werteorientierte Führung

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Wenn Menschen nur funktionieren und Dienst nach Vorschrift machen

Auf das Bedürfnis „Sinn finden” in der Arbeit hat selbst die wissenschaftlich orientierte Managementliteratur bislang eher wenig Antwort gegeben. Tatsache ist aber: Immer mehr Menschen fragen nach dem Sinn ihrer Arbeit. Sie wissen zwar, warum sie arbeiten, sie leiden aber darunter, dass sie keine überzeugende Antwort mehr auf das Wozu ihrer Arbeit haben. So laufen sie Gefahr, Sinn durch Funktionieren am Arbeitsplatz zu ersetzen, was sich stressfördernd auswirkt und eine Vorstufe einer inneren Kündigung ist.

Von einer empirischen Untersuchung  mit knapp 140 Führungspersonen und aus anderen betriebsinternen Studien kann abgeleitet werden, dass ein Viertel der Führungspersonen so etwas wie eine noetive (geistige) Dissonanz erlebt. Menschen, die davon „lahm” gelegt werden, müssen folgendes Spannungsfeld auflösen: Auf der einen Seite besteht ein intensives Bestreben, auf Ziele hinzuarbeiten, Projekte zu verwirklichen und Ideen in Realitäten umzuwandeln, auf der anderen Seite müssen sie bitter akzeptieren, dass äußere Umstände (interner Wettbewerb, gegenseitiges Ausspielen, bewusstes Schubladisieren von gut durchdachten Verbesserungsvorschlägen) die ehrgeizigen Vorhaben zunichtemachen.

Keine Motivation ohne Sinnerleben

Nach Viktor Frankl, dem Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, sucht der Mensch auch am Arbeitsplatz vor allem eines: Sinn.

Wir Menschen sind bewusst und unbewusst so sehr auf ein Sinnerleben ausgerichtet, dass wir etwas nicht wollen, wenn wir darin keinen Sinn sehen. Sinn ist etwas so Tiefliegendes, dass er erst zum Problem wird, wenn er verloren gegangen ist. Die Folgen kennen wir nur allzu gut: Menschen müssen bewegt, manipuliert, „motiviert” oder gar gezwungen werden, damit sie ihr Soll erfüllen. Sinn in der Arbeit kommt vor allem dann abhanden, wenn Fähigkeiten, Talente oder Ideen trotz Mühe und Einsatz nicht verwirklicht werden können. Der Wille zum Sinn wird auch frustriert, wenn im sozialen Beziehungsgeflecht nicht das Gefühl der Annahme gespürt wird.

Was ist werteorientierte Führung?
Was ist sinnorientierte Werteorientierung?

  • Solange Führungspersonen nicht die psychosoziale Kompetenz besitzen, sich mit der eigenen Persönlichkeit und Vergangenheit genauso ernsthaft auseinanderzusetzen wie mit fachlichen Fragen der Arbeitsanforderungen (Fachkompetenz), werden die schön ausformulierten Unternehmensgrundsätze für das humane Kapital teure Makulatur bleiben. Daher: Sinnorientierte Werteorientierung beginnt bei der Führungsperson. Sie beginnt beim Ich und endet beim Du, ohne dabei eine narzisstische Nabelschau zu betreiben.
  • Sinnorientierte Führung sprengt die herkömmlichen psychodynamischen Motivations- und Selbstverwirklichungskonzepte. Mitarbeiter:innen werden dabei nicht so gesehen wie sie sind, sondern so, wie sie sein könnten. Stärken werden gefördert und Vertrauen wird aufgebaut.
  • Sinnorientiertes Leadership ist weder von kurzlebigen Trends abhängig, noch lässt es sich von einer Pathologie des Zeitgeistes versklaven, der nicht nur von einem Sinnlosigkeitsgefühl gekennzeichnet ist, sondern in der Erscheinung des Konformismus, Totalitarismus und Reduktionismus auftritt, besser bekannt als radikaler Neoliberalismus. Eine werteorientierte Führung tritt diesen Bestrebungen entgegen und stellt der Gewinnmaximierung die soziale Verantwortung zur Seite.
  • Werteorientierte Führung kennt den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen einer Selbstverwirklichung und Selbstfindung. Bei der Selbstverwirklichung steht die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse im Vordergrund, hingegen „findet” sich jemand selbst, wenn er ausgerichtet ist auf eine (motivierende) Sache, oder sich hinwendet auf ein Du. In Anlehnung an Martin Buber: Die Führungsperson wird an mitarbeitenden Personen zur Führungsperson.
  • Sinnorientiertes Leadership kennt keine Freiheit ohne Verantwortung, aber auch keine Verantwortung ohne Freiheit. Freiheit in diesem Zusammenhang bedeutet, dass wir nicht frei von Bedingungen sind, sondern frei zur Stellungnahme. Freiheit droht aber dann in Willkür auszuarten, wenn sie nicht aus Verantwortlichkeit heraus gelebt wird. So ist sinnorientiertes Führen gelebte Verantwortung.
  • Und: Sinnorientiertes Leadership kennt vor allem eines: Nicht reden – sondern tun!

[1] H. Graf (2005), Mit Sinn und Werten führen. Was Viktor Frankl Managern zu sagen hat,
LIT-Verlag, Wien.

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Über den:die Autor:in

Dr. Helmut Graf

ist Psychotherapeut, Arbeitspsychologe, Klinischer Psychologe und Unternehmensberater. Seine Tätigkeitsschwerpunkte umfassen das Betriebliche Gesundheitsmanagement, Stress- und Burnout-Prävention sowie Persönlichkeitscoaching.

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