Organisationsdesigns: Von top-down bis agil

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Wieso zukünftig unterschiedliche Organisationsdesigns parallel existieren können

Märkte und Branchen wandeln sich, angepeitscht von der Digitalisierung (und fortschreitender Globalisierung), die die Geschwindigkeit in fast allen Bereichen ankurbelt. Wollen Unternehmen von ihr nicht überrollt werden, müssen sie ihre Organisationsdesigns dem neuen Tempo anpassen. Dazu gibt es viele Ansätze, doch der Königsweg scheint noch nicht gefunden. Eines schließen C-Level-Entscheider:innen dabei meist jedoch strikt aus: Die Koexistenz verschiedener Führungsstile. Doch ist das wirklich zielführend?

Marktdynamiken und -zyklen sowie Anforderungen von Kundinnen und Kunden ändern sich rasant. Parallel dazu gehen der Wirtschaft die Fachkräfte aus. Für Unternehmen resultiert daraus ein Mix aus Unwägbarkeiten und Unsicherheiten: Nie erwarteten Konsumenten in kürzerer Zeit neue Produkte, nie ging Marktführern schneller die Puste aus, konnten sie den Ansprüchen nicht genügen. Nie verteilte sich Arbeit auf so wenige Schultern. Disruptive Entwicklungen treffen auf demografischen Wandel sowie Innovations- und Wettbewerbsdruck.

Agilität – die Antwort auf alles?

Das setzt CEOs mächtig unter Druck. Ihre Antwort darauf: agil, agil und nochmal agil. Und so lautet das Credo der Stunde: „Killt die Zeitfresser.” Das sind die vielen Instrumente, die aus den „guten alten” Zeiten langsamerer Kommunikation und weniger gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern übrig geblieben sind: Projektampeln, Statusreports, Zielvereinbarungen, Gespräche mit Mitarbeiter:innen, Boni, unstrukturierte Meetings oder Jour-fixes. Dazu ein extrem starres, intransparentes Hierarchiegefüge mit langen Entscheidungswegen. Flexibilität sieht anders aus.

Der Schluss liegt nahe: Top-Down hat ausgedient. Entwickelt wurde das Design ohnehin in einer Zeit, in der Fehler teuer waren und nur Führungskräfte über Informationen verfügten. Weil Kommunikation vor der Ära von E-Mail oder Smartphone erheblich zäher vonstatten ging, minimierten Firmen das Risiko von Fehlern, indem Entscheidungen von den wenigen, die die Informationen hatten, getroffen wurden. Sie gaben vor, die Mitarbeitende Person führte aus.

Das ist nun anders. Kommunikation funktioniert über den ganzen Globus hinweg in Echtzeit – dem mobilen Internet sei Dank. Und das Gros der Mitarbeiter:innen ist bestens ausgebildet. Müssten diese die eigene Meinung an der Unternehmenspforte abgeben, wäre das fatal. Wie viele innovative Ansätze gingen Unternehmen verloren, kämen Wissensarbeiter:innen nicht zu Wort! Umso schneller wollen viele Entscheider:innen der C-Ebene ihren einstigen Traditionsbetrieb zur agilen Kreativschmiede umbauen, wo größtmögliche Freiheit auf maximal eigenverantwortliche Mitarbeitende trifft. Soweit jedenfalls die Idealvorstellung.

Doch bekanntlich haben Ideal und Realität oft nicht allzu viel gemein. Auch in unserer Zeit gibt es nicht nur hochkreative Köpfe. Und nicht jede Managerin oder jeder Manager fühlt sich in einem agilen Netzwerk zu Hause. Warum dann also dieses Entweder/Oder? Könnte die Lösung für ein perfektes Organisationsdesign nicht irgendwo zwischen agilem Netzwerken und dem Modell „Weisung und Kontrolle” liegen?

Koexistenz verschiedener Führungsstile: der Schlüssel zum Erfolg?

Faktisch koexistieren beide Formen bereits in Unternehmen. Genau dieses Zusammenspiel ist es auch, das Firmen produktiv und leistungsfähig macht. Ein Beispiel: Effiziente Arbeit an Fließbändern funktioniert am besten über Weisung und Kontrolle. Kreative Wissensarbeit im gleichen Haus verlangt hingegen agilere Formen. Fazit: Der Erfolgsfaktor für funktionierende Managementsysteme ist in einem optimalen Zusammenspiel zwischen Organisationsdesign und Selbstverständnis der Mitarbeiter:innen zu suchen.

Doch die meisten Managementsysteme sind nur auf eine Dimension der Personalführung ausgelegt, meist auf (ich finde besser: Verfahrensregeln und Steuerung, statt:) Weisung und Kontrolle. Das kann gravierende Folgen haben. Nicht selten beginnen beispielsweise die freiheitsaffinen Teile des Unternehmens, die sich bei allzu strikten Vorgaben eingeengt fühlen, unterhalb des Radars der Geschäftsführung zu agieren. Sie bilden eine sogenannte Schattenorganisation, in die sie sich zurückziehen, weil sie ihre individuellen Gestaltungsfreiräume vermissen.

Bei agilen Organisationsstrukturen kann es zu einem ähnlichen Problem kommen. Hier entsteht schnell Überforderung in Abteilungen, in denen Mitarbeitende eher gelernte Ausführende sind und mit Freiheiten nichts anzufangen wissen (für mich etwas abwertend: … und wo Freiheiten nicht zielführend sind oder viel Arbeit kosten). Gibt es auf einmal keinen Vorgesetzten mehr, der Entscheidungen trifft, müssen sie Zeit in Abstimmungen mit Kolleginnen und Kollegen investieren, um einen Konsens zu erzielen. Das kostet Kraft. Und aus der agilen wird schnell eine überforderte Organisationseinheit.

Ein Dilemma, für das es aber eine Lösung gibt. Wollen Unternehmen ihre Strukturen dahin gehend verändern, dass sie den Bedürfnissen aller Mitarbeiter:innen genauso wie den Anforderungen des Marktes gerecht werden, müssen sie zunächst ihren Status quo bestimmen. Erst dann können sie sich die Frage stellen: Quo vadis – wohin soll’s gehen?

Haufe Quadrant: organisationsstrukturelle Realität im Unternehmen

Stellt man sich die verschiedenen Organisationsdesigns in einem Quadranten (s. h. Grafik) vor, in dem links oben die überlastete Organisation dem agilen Netzwerk gegenüber steht und links unten das Modell „Weisung und Kontrolle“ gegenüber der Schattenorganisation liegt, haben CEOs den perfekten Wegweiser durch die Managementlandschaft an der Hand.

Von top-down bis agil grafik

Auf dieser Landkarte können Ist- und Soll-Zustand optimal skizziert werden. Viele Unternehmen sind jedoch versucht, ihre Ausgangsposition als Punkt in einer der Organisationsformen zu verorten. Doch das trifft meist nicht zu. Unternehmen müssen sich eher als eine Ellipse in diesem Quadranten verstehen, die alle vier Bereiche umfasst: Manche Bereiche funktionieren gut durch Weisung und Kontrolle, einige Teams arbeiten erfolgreich als agile Netzwerke und ebenso gibt es ein paar Mitarbeitende, die in Schattenorganisationen agieren oder überfordert sind. Je differenzierter die Märkte und Produkte eines Unternehmens sind, umso größer ist die Ellipse, die ein Unternehmen organisatorisch beherrschen muss.

Die Vereinigung von regulativer und agiler Organisationsform auf operativer Ebene
Ist ein Team oder Gruppe hoher Zuverlässigkeit und Qualität verpflichtet, ist die beste Organisationsform die regulative, geht es um Innovation oder eine hoch differenzierte Leistung, kann es nur eine agile Antwort geben. Aber viele Abteilungen müssen zuverlässige und differenzierte Leistungen gleichzeitig erbringen. Sie müssen die Formen finden, die gleichzeitig regulativ und agil sind, die also beide Formen vereinigen.

Moderne Führung ist also in der Lage, je nach Aufgabentypus und Situation den Führungsstil, die Art und Weise der Entscheidung innerhalb von Minuten zu wechseln. Dieser hoch flexible Führungsstil lässt sich nicht von außen importieren oder verschreiben. Er muss sich von innen im Team und mit den Mitarbeitenden zusammen entwickeln, Schritt für Schritt. Vielleicht sollte man deshalb von „evolutionärer Führung” sprechen, da sie sich von Aufgabe zu Aufgabe verbessert, wie in einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess der Führung. Auf jeden Fall lernen beide Seiten dabei – Führungskräfte und Mitarbeitende. Führung wird somit immer mehr zu einem Gemeinschaftsprojekt von Chef und Mitarbeiter:in.

In den Meetings der Zukunft wechselt ein Team von regulativ zu agil, von agil zu partizipativ und wieder zurück innerhalb einer halben Stunde. Die Führung der Zukunft wird nicht von Persönlichkeit der Führungskraft bestimmt, auch nicht von der Rolle oder Stellenbeschreibung oder dem Stellensystem eines Organigramms. Es wird immer mehr bestimmt vom Typus der Aufgabe. Denn jede Aufgabe hat ihren eigenen Satz von optimalen Führungsregeln, mit der sie gelöst werden will.

Die Lösung der Zukunft wird nicht darin liegen, von einer „Monokultur“ zur nächsten zu wechseln, sondern eine intelligente Verschmelzung zu erzeugen. So wie das Zusammenspiel von Stand und Spielbein. Oder das Zusammenspiel bei Apple, bei der die strikte regulative Basis von iOS erst eine höchst agile App-Landschaft ermöglicht. Die regulative Basis in Führung und Kooperation ist Vertrauen, Respekt und Offenheit, das Know-how zu erkennen, wann die Art der Führung zu Wechseln ist und die hohe Flexibilität in der Nutzung verschiedener Kommunikations- und Entscheidungsregeln.

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Über den:die Autor:in

Ulrich Grannemann

Senior Consultant, Diplom Kaufmann, Unternehmer, Führungstrainer und Berater. Geschäftsführender Gesellschafter einer Unternehmensberatung und Herausgeber einer Wissensplattform für den Themenschwerpunkt Mitarbeiterführung. Publizist, Redner und Autor zum Thema Führung.

Zur Themenübersicht Führung und Leadership