Erschienen – und meistgeklickter Beitrag 2016 – auf www.humanresourcesmanager.de
Es sind oft die Führungskräfte und nicht die Mitarbeitenden, die agiles Arbeiten ausbremsen. Doch nicht nur Unsicherheit und mangelndes Vertrauen sind dafür verantwortlich. Auch die Führungskräfte selbst unterliegen Zwängen.
Es sind erfahrene Führungskräfte, die heute zusammensitzen. Das Thema des Workshops lautet „agiles Arbeiten”. Nach einer kurzen Einführung in die agile Begriffswelt und ihre Prinzipien, entsteht eine muntere Diskussion. Von gestandenen Managern wird gemeinhin erwartet, dass sie schnell in der Lage und willens sind einige Szenarien zu skizzieren und Möglichkeiten zu erdenken. Diese Hoffnung wird enttäuscht. Dabei sind die Teilnehmer:innen heute weder die ersten noch die einzigen, die stante pede mit der Argumentation „warum das bei uns aber eigentlich wohl doch eher nicht möglich sein wird“ beginnen. „Ja, aber…” wird der häufigste Satzbeginn in der laufenden Diskussion.
Es ist mehr als verständlich, dass die Auseinandersetzung mit dem Konzept der Selbstorganisation eine Vorlaufzeit braucht. Groß sind die spontanen Befürchtungen von Macht- und Kontrollverlust. Ungewohnt fühlen sich die Ideen von kurzen, schnellen Arbeitszyklen und Retrospektiven an. Allen wird schnell klar, agile Zusammenarbeit braucht ein hohes Maß an Diskurs und Offenheit. Das verändert die Rolle der Führungskraft erheblich. Und dann dauert es auch gar nicht mehr lange bis zum beliebtesten und häufigsten Argument, warum diese Form der Arbeit nicht gelingen wird: „Ein Großteil meiner Mitarbeiter:innen wird das nicht können.” Damit wird geschickt von der eigenen Person abgelenkt und ein Argument in den Raum gestellt, welches im Anschluss so vehement verteidigt wird, als ginge es um Alles.
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„Die wollen das doch gar nicht”
In der Auseinandersetzung über selbstbestimmtes und -organisiertes Arbeiten kommen die Haltungen der Menschen schnell zu Tage. Es zeigt sich, meist indirekt, was ein Manager über sich selbst und seine Rolle denkt. Sehr direkt hingegen werden die Denkmuster bezüglich der eigenen Mitarbeiter:innen formuliert. Manchmal getarnt als Frage nach klaren Rezepten: „Wie lange lass ich dieses freie Arbeiten denn laufen? Wann ist der richtige Zeitpunkt um reinzugrätschen, wenn die Richtung für mich nicht stimmt?” Oft formulieren Führungskräfte sehr klar, dass sie ihren Mitarbeitenden eigenverantwortliches Arbeiten nicht zutrauen. Und dabei wird immer wieder unterstrichen, dass sie das mit zigfachen Beispielen aus vielen Jahren Erfahrung belegen können. Das sei kein Glaube, sondern Wissen. Der große Teil der Menschen brauche eine engmaschige Führung und mache eh nichts, ohne sich nach jedem Arbeitsschritt eine Unterschrift abzuholen.
Von diesem Verhalten auf die Persönlichkeit der Angestellten zu schließen ist fatal. Jeder (und das schließt die Führungskräfte selbstverständlich mit ein) verhält sich in seinem Organisationssystem so, wie er es gelernt hat. Das System bringt den Menschen bei, welches Verhalten erwünscht ist und welches sanktioniert wird. So lernen Menschen an ihrem Arbeitsplatz schnell und gründlich, wie sie dort am besten klarkommen. Und „am besten” kann alles sein, von ruhig und sicher über anerkannt bis herausgefordert.
Du bekommst, was Du glaubst
Führungskräfte behandeln ihre Mitarbeitenden auf der Basis ihrer Meinungen über sie. Hat sich der Glaubenssatz „Mitarbeiter Y arbeitet nicht eigenständig und braucht ständige, enge Begleitung” etabliert, wird Y auch genauso behandelt. Die Behandlung wird auf jeden Fall zu einem Ergebnis führen, zu uneigenständigem Verhalten nämlich. Im Kontext agilen Arbeitens ist das ein sehr bequemes Argument für Führungskräfte, um drum herum zu kommen oder zumindest hinterher anmerken zu können, man habe ja von Anfang an schon gewusst, dass das mit diesen Angestellten nichts werden kann. Das ist schlichtweg nicht mehr als eine billige Ausrede. Dabei liegt die Krux in erheblichem Maße bei der Führungskraft selber. Denn es geht bei der Einführung von agilem Arbeiten um weit mehr als um eine neue Methode oder ein anderes Verfahren. Wird Agilität ernst genommen, so geht es um einen Paradigmenwechsel. Es geht um Haltungen, Sichtweisen und Einstellungen. Genau das ist agiles Arbeiten. Kooperation, Vertrauen, Offenheit und Diskurs sind nur einige Stichworte, die jedoch in tradierten Organisationen den Führungskräften den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Sind also die Führungskräfte selber schuld an gescheiterten agilen Projekten und Vorhaben? Mitnichten.
Die Führungskräfte sind nicht das Problem, zumindest nicht alle
Genau wie ihre Mitarbeitenden agieren und denken Führungskräfte innerhalb des Organisationssystems. Sie werden geleitet durch die gemeinsame Kultur und folgen den goldenen Regeln. Darin ist beispielsweise geregelt, wie man sich Anerkennung und Respekt erarbeiten kann. Geht das über formale Macht, dann ist klar, warum eine Führungskraft kein Eigeninteresse daran haben kann, diese zugunsten agilen Arbeitens abzugeben. Existiert in einer Organisation kein offener Umgang miteinander und Feedback hat keinen Stellenwert, dann ist auch klar, dass ein agiler Bereich auf „Gegenwehr” in der Organisation stoßen wird. Will eine Organisation agile Haltung und Methodik etablieren, dann kann das nicht an die Ebene der Führungskräfte delegiert werden, wenn die Organisation selbst unverändert bleibt. Die Zugkraft der „alten” Denk- und Handlungsweisen ist zu stark und der mögliche Gewinn zu klein. Und dann genau scheitert Agilität an den Führungskräften. Sie können sie gar nicht umsetzen wollen, sie selber wären nicht mehr systemkonform.
Es braucht immer einen Top-Down Ansatz und das ernsthafte Wollen der Organisation ihre Haltungen und Sichtweisen zu erneuern. Gleichzeitig ist Reflexion für alle Beteiligten, aber besonders für die Führungskräfte notwendig. Das Überprüfen der eigenen Glaubenssätze, Vorurteile und Stereotype bringt neben Klarheit und Erkenntnis auch die Möglichkeit den einen oder anderen Mitarbeitenden wieder neu zu sehen. Und das ist ohnehin eine gute Sache, auch ohne Agilität.