Die Energiewende als Auslöser für das Umdenken im energiewirtschaftlichen Controlling
Die Branche der Energiewirtschaft unterliegt seit längerer Zeit einem fundamentalen Wandel. Mit der Liberalisierung des Strom- und Gasmarktes bereits Ende der 1990er Jahre und der zeitgleich gesetzlich geforderten eigentumsrechtlichen Entflechtung des Netzbetriebs öffnete sich der Markt für Drittanbieter. Mehrere Millionen Kunden machten von ihrem neuen Recht Gebrauch, den Energieversorger frei zu wählen. Der damit einhergehende, vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollte Konkurrenzdruck erforderte zu dieser Zeit ein radikales Umdenken bei der operativen und strategischen Führung von Energieversorgern.
Eine weitere Zäsur stellte die Atomkatastrophe von Fukushima 2011 dar. Der im gleichen Jahr von der Bundesregierung beschlossene Ausstieg aus der Atomenergie mündete in einem beschleunigten Übergang zu erneuerbaren Energien. Und nicht zuletzt mit dem Pariser Klimaabkommen (COP21), das 2016 in Kraft trat, hat die globale Energiewende ein konkretes Datum bekommen: Von 2050 an soll im Rahmen der Dekarbonisierung nicht mehr Kohlendioxid emittiert werden als gleichzeitig absorbiert wird. Gleichzeitig gilt es die Digitalisierung im Rahmen der Energiewende umzusetzen (Energie 4.0). Mit anderen Worten: Das Geschäftsmodell klassischer Energieversorger funktioniert nicht mehr. Der jetzt notwendige Weg vom klassischen Versorger mit langfristig kalkulierten, fixen Erlösstrukturen und ebenso langfristig verlässlicher Investitions- und Kostenplanung hin zu einem Marktteilnehmer in einem hochvolatilen und wettbewerbsintensiven Marktumfeld zeigt, dass sich nicht nur die Geschäftsmodelle, sondern auch die Anforderungen an das Controlling aus strategischer und operativer Sicht deutlich wandeln muss.
Die neue Rolle des strategischen Controlling
Im Rahmen des strategischen Controlling besteht die Hauptaufgabe darin, die Änderungen des Geschäftsmodells und die Änderungen des Controlling selbst im Rahmen eines Strategieentwicklungsprozesses beratend zu begleiten. Ein Check der Ist-Situation über alle energiewirtschaftlich relevanten Wertschöpfungsstufen (Erzeugung, Speicher, Handel, Netze, Vertrieb und Dienstleistungen) ist Basis der Analyse des bestehenden Geschäfts und ermöglicht es, potenzielle Risikofelder zu identifizieren. Dabei werden die aktuelle Leistungsfähigkeit einzelner Stufen beurteilt und nachhaltige Erfolgspotenziale und mögliche Effizienzsteigerungen identifiziert, um strategische Ziele abzuleiten. Am Ende des Strategieentwicklungsprozesses ist die mittel- bis langfristige Ausrichtung des Unternehmens festgeschrieben, das neue Geschäftsmodell erarbeitet und die (neue) zentrale Rolle des Controlling definiert. Diese führt über ein Maßnahmencontrolling zur kontinuierlichen Überwachung und Steuerung der Umsetzung der strategischen Entscheidungen. Gleichzeitig gewinnen bisher eher vernachlässigte Controllingaufgaben wie ein auf Cash-Flow-Kennzahlen beruhende Beteiligungscontrolling, das dynamische Investitionscontrolling und nicht zuletzt das Steuerungscontrolling neuer Geschäftsfelder an Bedeutung. Dies führt in Summe zu einem neuen Verständnis des strategischen Controlling in der Energiewirtschaft, das nur unter Anwendung moderner Controllingansätze Bestand haben kann.
Die neuen Anforderungen an das operative Controlling
Das operative, oder auch geschäftsfeldorientierte Controlling hat sich ähnlich dem strategischen Controlling einem dynamischen Wandel in Hinblick auf die klassischen Controllinganforderungen zu stellen. Als Beispiel für notwendige inhaltliche Anpassungen sollen drei Beispiele dienten:
Zum einen seien die Notwendigkeit von werttreiberorientierte Berichtsstrukturen genannt, die den Grundsätzen eines Performance Management Controlling folgen und damit notwendigen dynamischen Kennzahlensystemen erfordern. Zum anderen kann hat sich das operative Controlling von Netzbetreibern an den geänderten Vorgaberichtlinien zu orientieren, die zugegebenermaßen die eine oder andere betriebswirtschaftliche Entscheidung in Frage stellen. Die Funktion des Controlling reicht hier weit über eine Reporting-Funktion hinaus hin zu einem betriebswirtschaftlichen Berater mit hoher Fachexpertise. Als drittes Beispiel soll das Vertriebscontrolling dienen, das in Zeiten der regulierten Märkte eine untergeordnete Bedeutung hatte und jetzt aufgrund der gestiegenen Relevanz des Energievertriebs eine zentrale Rolle einnimmt. Die Messung der Vertriebsperformance, die Abstimmung mit dem Einkauf und die daraus resultierenden Kundenwert- und Kundendeckungsbeitragsrechnungen bilden die Basis für eine erfolgsorientierte Vertriebssteuerung und damit das Fundament für ein funktionierendes Geschäftsmodell.
Die Rolle eines Marktteilnehmers in der Energiewirtschaft als auch die Rolle des Controlling hat sich fundamental geändert und wird sich auch in den nächsten Jahren dynamisch, primär geprägt von politischen Entscheidungen und gesellschaftlichen Forderungen, verändern.