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Das 70:20:10-Modell – Lernen neu entdecken

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Ständig neue Regelungen, Software-Updates, Arbeitsabläufe und Prozesse. Den allgegenwärtigen dynamischen Veränderungen im beruflichen Umfeld muss sich auch die Entwicklung und Weiterbildung der Mitarbeiter:innen anpassen. Wie sich aktuelle Lernformen kombinieren und integrieren lassen, zeigt das 70:20:10-Modell. Es stellt HR und Personalentwickler vor neue Aufgaben, bietet ihnen aber vor allem die Chance, PE-Maßnahmen besser in den Arbeitsprozess zu integrieren.

Ein Großteil des Lernens und der beruflichen Weiterentwicklung der Mitarbeiter:innen findet heute am Arbeitsplatz statt. Mitarbeitende lernen, indem sie sich herausfordernden Aufgaben stellen, Neues ausprobieren, sich mit Kolleginnen und Kollegen austauschen, eine Internetsuchmaschine nutzen oder im Alltag Erfahrenes auf die Arbeit übertragen.

Informelles Lernen, ohne formale Anleitung oder im Seminar, findet ebenso in sozialen Netzwerken statt, in denen man sich mit Kolleginnen und Kollegen austauscht oder mit Experten, die sich zum Beispiel durch Beiträge in Foren identifizieren lassen. Statt isoliert von der Arbeit zu lernen, suchen wir immer dann nach neuem Wissen, wenn wir es brauchen, situations- und bedarfsgerecht.

Informelles Lernen dominiert

Lernen im Prozess der Arbeit verändert die Perspektive. Lernen ist nicht mehr entkoppelt von der Arbeit zu betrachten, sondern Lernen wird zum Bestandteil der Arbeit. Umgekehrt werden die Erfahrungen am Arbeitsplatz auch zu einem festen Bestandteil des Lernens. Zum richtigen Mix für die Weiterbildung der Mitarbeitenden gehört jedoch nicht allein das informelle Lernen. Auch formale Lernangebote, sei es als Seminar, Kurs oder e-Learning-Angebot, haben weiterhin Bestand und spielen eine wichtige Rolle für das Gesamtkonzept.

Erstmals in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts entwarfen Morgan McCall, Robert Eichinger und Michael Lombardo vom Center for Creative Leadership in North Carolina die Grundlagen des 70:20:10-Modells, 2002 wendete sie Charles Jennings als strategisches Modell erstmals bei der Nachrichtenagentur Reuters an. Demnach erwerben erfolgreiche Führungskräfte ihre Kompetenzen

  • zu 70 Prozent durch schwierige Aufgaben und berufliche Herausforderungen,
  • zu 20 Prozent durch ihr berufliches Umfeld und dabei maßgeblich durch ihre Vorgesetzten,
  • zu 10 Prozent durch traditionelle Weiterbildung, wie sie beispielsweise in Seminaren, durch Lesen von Büchern und Artikeln oder durch die Vermittlung von Lerninhalten in anderen Lernformaten stattfindet.

Dieses Konzept ist aber nicht als ein Rezept zu verstehen, sondern vielmehr als eine Beschreibung dessen, was bereits in vielen Organisationen von den Mitarbeitenden gelebt wird, ohne dass dies bewusst oder in einem geordneten Rahmen geschieht. Es liegt daher nahe, dass sich HR und Learning & Development (L&D) einem geänderten Verständnis der Personalentwicklung nähern müssen.

Bedeutung von Personalentwicklung steigt

Die Personalentwicklung steht damit vor einem Rollenwechsel, weil sie intensiver in den produktiven Arbeitsprozess eingreift als jemals zuvor. Bislang beschäftigte sich Aus- und Weiterbildung im Unternehmen vor allem damit, Kataloge mit Weiterbildungsangeboten zu erstellen, Lerninhalte für Seminare und e-Learning-Angebote zu entwickeln und diese umzusetzen. Also mit dem eindeutigen Fokus auf Lernen im traditionellen Sinn, dem Transfer von Wissen.

In der neuen Rolle geht es für die Personalentwickler darum, den Arbeitsplatz zugleich als Lernort zu sehen und einen Rahmen zu schaffen, der Lernen insbesondere dort ermöglicht. Denn gerade weil Mitarbeiter:innen vor allem durch Erfahrung lernen, brauchen sie Zeit zu reflektieren, Dinge auszuprobieren oder sich in ihren Netzwerken auszutauschen.

HR muss sich fragen, ob weiterhin die formale Qualifikation durch Wissenstransfer im Mittelpunkt steht, oder ob es nicht vielmehr darum geht, die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern, indem man ihnen dafür alle Lernformate und Möglichkeiten zur Verfügung stellt, die sie brauchen. Dieser neuen Lernkultur müssen sich HR und die Organisation bewusst werden, um sie mit Leben zu füllen, zu unterstützen und zu fördern. Dafür wird vor allem die Unterstützung der Führungskräfte benötigt. Denn weniger noch als neue Lerntechnologien oder durch die Einführung von Social-Media-Tools entscheiden Manager:innen und die Führungsebene darüber, ob die Rahmenbedingungen es ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erlauben, Lernen im Prozess der Arbeit zu entwickeln und zu fördern. Personalentwickler:innen und Führungskräfte werden somit zu Enablern und Unterstützern des informellen Lernens und Social Learning, wie es Charles Jennings und Jérôme Wargnier in dem Whitepaper “Effective Learning with 70:20:10 – The new frontier for the extended enterprise” beschreiben. Das 70:20:10-Modell bietet somit die Chance, Personalentwicklungsmaßnahmen enger in den Arbeitsprozess zu integrieren, die heute vielleicht noch getrennt davon ablaufen.

Dazu gehören beispielsweise Leadership-Programme, informelles Coaching und Mentoring.

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Was ist der erwartete Erfolg? Was sind die Erfolgsfaktoren?

Die Aufgabe für Führungskräfte und Personalentwicklung besteht also darin, ein Bewusstsein für die neue Dynamik in Lern- und Workflows zu schaffen und alle Lernformen nach dem 70:20:10- Modell so zu strukturieren und zu nutzen, dass sich neues Knowhow schnell und wirksam im Unternehmen verbreiten lässt. Viele Schritte führen dabei zum Erfolg, drei wesentliche Faktoren wollen wir herausheben:

1. Das Bewusstsein für Lernen der neuen Situation anpassen

Dass Arbeiten und Lernen gleichzeitig stattfinden können, ist nicht jedem bewusst. Genau hierbei gilt es anzusetzen. Zur Selbstlernkompetenz der Mitarbeiter:innen gehört es nicht nur, sich eigenständig und selbstgesteuert mit Lerninhalten auseinanderzusetzen, sondern auch mit informellem Lernen bewusst umzugehen. Die Personalentwicklung kann Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei unterstützen und zum Beispiel Lerntagebücher einführen.

2. Unterstützung des Top-Managements und der Führungskräfte

Der wirtschaftliche Erfolg einer Organisation hängt maßgeblich von der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter:innen ab. Daran werden auch Führungskräfte gemessen. Beim informellen Lernen sind sie maßgeblich daran beteiligt, die passenden Rahmenbedingungen zu schaffen, indem sie erkennen, wo sich für Mitarbeitende Gelegenheiten bieten, ihr Wissen zu entfalten und anzuwenden und ihnen die nötigen Freiräume dafür zu geben.

3. Die Personalentwicklung als Partner erkennen

Die Personalentwicklung ist nicht mehr länger nur „Auslieferer“ von Trainings- und Weiterbildungsmaßnahmen oder Förderprogrammen. Indem sie das Lernen am Arbeitsplatz, im Prozess der Arbeit unterstützt und fördert, ist sie intensiver an der strategischen Organisationsentwicklung beteiligt als zuvor und gewinnt an Bedeutung.

Informelles Lernen findet „quasi nebenbei“ statt. Das 70:20:10-Modell hilft dabei, die aktuelle Lern- und Entwicklungskultur zu reflektieren und ein Bewusstsein für das informelle Lernen und seine Bedeutung zu schaffen. Richtig angewendet kann es dabei helfen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer Arbeit Erfüllung finden und effektiver und bewusster zum Unternehmenserfolg beitragen als zuvor.

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Über den:die Autor:in

Tim Doll

ist Consultant Training & Education bei der Sick AG und war zuvor lange Berater im Competence Center Digitales Lernen der Haufe Akademie.

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