Vom:Von der Spezialist:in zum:zur Generalist:in
Das klingt zunächst einmal gar nicht so attraktiv. Warum den eigenen Status des:der Expert:in aufgeben und sich auf unbekanntes Terrain begeben? Warum das Risiko des Scheiterns auf sich nehmen, anstatt sich weiter im eigenen Fachgebiet zu qualifizieren und zu professionalisieren? Fragen wie diese stellen sich heute in erster Linie nur noch die erfahreneren Fachexpert:innen, die „alten Hasen”, die es geschafft haben, sich über Spezialwissen eine besondere Stellung im Unternehmen zu erarbeiten. Doch auch hier bröckeln die Mauern und die Anforderungen an professionelles Handeln werden vielfältiger. Für die meisten Fachexpert:innen in dynamischen Unternehmen gilt: Die Trennlinie zwischen Fach- und Führungsexpertise lässt sich heute nicht mehr so klar und eindeutig ziehen. Wer fachliche Expertise aufweist, muss immer öfter auch in Führung gehen, sei es in Qualitätszirkeln, in Expert:innen-teams oder in zeitlich begrenzten Projekten, in denen es darauf ankommt, schnell und mit Blick auf Synergieeffekte das Wissen der Vielen nutzbar zu machen, es zu bündeln und für komplexe Fragestellungen zur Verfügung zu stellen. Das aber geht nicht ohne das Wissen darüber, wie Teams funktionieren, bzw. wie Führung nachhaltig und konstruktiv gestaltet werden kann.
„Vom:Von der Expert:in zur Führungskraft”, das kann aber auch ein sehr attraktiver Weg sein: (Expert:innen-)Wissen wird natürlich auch in Zukunft immer weiter von Bedeutung bleiben, aber die neuen, wichtigeren Herausforderungen werden dort liegen, wo es darum geht, die Zusammenarbeit von Expert:innen zu steuern, Teams zu leiten und die Kompetenzen der Mitarbeitenden zu entwickeln. D.h., die Übernahme von Führungsverantwortung durch Fachexpert:innen schlägt „zwei Fliegen mit einer Klappe‚”: Zum einen haben Sie als Expert:in ein großes Verständnis für die Thematik und können so lösungsfokussiert führen und Ihre Mitarbeitenden zielgerichtet qualifizieren. Häufig wird gerade fachlich noch unerfahrenen Führungskräften das Fehlen dieser Expertise vorgeworfen, was zu Autoritätsproblemen führt. Zum zweiten eröffnet sich für Sie mit der Übernahme von Führungsverantwortung auch ganz persönlich die Möglichkeit, sich professionell weiterzuentwickeln und Kompetenzen zu erwerben.
Was sind die Herausforderungen auf dem Weg vom:von der Expert:in zur Führungskraft?
Ganz einfach ist dieser Weg zugegebener Weise nicht! Wer sich als Experte einen Namen gemacht hat, der hat im Team, in der Projektarbeit oder sogar im Unternehmen einen Ruf erarbeitet und eine ganz bestimmte Rolle übernommen. Diese Rolle ist allen bekannt, man bewegt sich sicher und souverän in dieser Rolle und zumeist fühlt sie sich auch gut an.
Für seine:n Chef:in hingegen empfindet man oftmals nur Mitleid für das, was in deren Rolle zu ertragen ist und wie er:sie für alles und jede:n den Kopf hinhalten muss. Viel seltener staunt man anerkennend darüber, wie der:die Chef:in das Team steuert und wie sich sicher und gekonnt in der Rolle bewegt. Aber auch das gibt es. Was unterscheidet diese Chef:innen? In der Regel ist es so, das Typus 1 (Mitleid) zur Führungsverantwortung gekommen ist „wie die Jungfrau zum Kinde“. Man wird gefragt, ob man sich die Leitungsaufgabe vorstellen könne, fühlt sich gewertschätzt und sagt blauäugig zu. Dann, ins kalte Wasser geschmissen, merkt man schnell, dass man der Aufgabe nicht (ausreichend) gewachsen ist und versucht das Tagesgeschäft irgendwie über die Bühne zu bekommen. Typ 2 (Anerkennung) hat sich diesen Schritt in der Regel genau überlegt, hat sich bei der Übernahme der Führungsverantwortung unterstützen lassen und hat rechtzeitig damit begonnen, Führungskompetenzen aufzubauen.
Was gibt es für Tipps, wenn man selbst vor der Frage steht „Vom:Von der Expert:in zur Führungskraft”?
Die geborene Führungskraft gibt es nicht! Oder, wie es der Volksmund sagt „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.“ Mit anderen Worten ausgedrückt bedeutet dies: Führung kann man lernen und Führung muss man lernen – sonst wird nichts draus!
Das beginnt mit der Frage, was Führung denn eigentlich ist. Hier lassen sich unzählige Definitionen finden, hilfreich erscheint mir dabei diese:
„Führen heißt, andere Menschen zielgerichtet in einer formalen Organisation und unter konkreten Umweltbedingungen dazu zu bewegen, Aufgaben zu übernehmen und auszuführen, wobei menschliche Ansprüche wie gegenseitige Fairness und Offenheit gewahrt werden.” (nach Oswald Neuberger)¹
In diesem Zitat wird klar, dass es einerseits um die Erreichung von Zielen einer Organisation geht (was durchaus Druck machen kann), dass es aber andererseits auch und gerade darum geht, menschliches Miteinander zu gestalten, sich mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen – auch im Arbeitskontext.
Deshalb gilt: Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie. Mit ein paar Themen muss man sich einfach auseinandersetzen, damit der Weg zur erfolgreichen Führungskraft gelingt:
Zunächst muss man sich mit der neuen Rolle auseinandersetzen. Das ist keine Frage des passenden Tools, sondern eine Frage der richtigen Haltung: Will ich das wirklich? Wie gehe ich mit meinen Erwartungen an mich selbst um und wie gehe ich mit den Erwartungen meines Umfelds um? Das muss man zunächst thematisieren, reflektieren und ganz deutlich klären!
Erst im zweiten Schritt geht es dann um Tools und Führungsinstrumente: Ziele setzen, Entscheidungen treffen, motivieren, delegieren, Kommunikation gestalten und das Team entwickeln. Auch als Führungskraft muss man sein Handwerkszeug richtig einsetzen können. Wenngleich diese Werkzeuge nicht immer so eindeutig sind wie im fachlichen Bereich. Im Umgang mit Menschen ist 1+1 eben nicht immer ganz automatisch 2! Meistens kommt aber mehr raus: Stichwort Synergieeffekte. Das schaffen Mathematiker nicht! Klingt doch spannend. oder?
Ein erster kleiner Selbst-Check² :
Stellen Sie sich folgende Situation vor:
Sie waren im Team Expert:in für alle Fachfragen. Nachdem Ihr:e Chef:in auf der Karriereleiter eine weitere Sprosse genommen hat, wurden Sie als Nachfolger:in benannt.
Nach einiger Zeit jedoch stellen Sie bei sich große Unzufriedenheit fest und würden am liebsten alles hinschmeißen. Jeden Tag geht Ihnen nur noch eines durch den Kopf: „Als ich noch Mitarbeitende war, konnte ich mich mit Leidenschaft allen Fachfragen widmen. Jetzt dreht sich alles um die Umsatzzahlen, ich sitze nur noch in Meetings und andauernd will jemand etwas von mir!“
- Überlegung 1.:
Wie wirkt sich Ihr Rollen- und Aufgabenwechsel konkret aus? Was heißt das für die Bedeutung Ihrer Fachkompetenz? - Überlegung 2.:
Welche Aufgaben haben Sie in den Verantwortungsbereichen Mitarbeiterführung, Planung und Berichtswesen zu bewältigen?
Zu Überlegung 1.) Wichtig ist nun, dass Sie sich mit allen Fachthemen des Teams befassen und über die aktuellen Entwicklungen auf dem Laufenden sind. Auf Ihre Neugierde für Neues kommt es hier besonders an und auf Ihre methodischen Fähigkeiten, sich schwierigen Fachfragen zu nähern. Diese müssen Sie nun auch auf neue Bereiche ausweiten. Aber es geht auch um das Loslassen: Sie werden in Zukunft nicht mehr alle fachlichen Probleme selber lösen können. Delegation heißt das Zauberwort. Dafür braucht es Vertrauen in die Fähigkeiten Ihrer Mitarbeitenden. Hierbei kommt es unter anderem auf die richtige Auswahl Ihrer Mitarbeitenden an, darauf, die Kommunikation (z.B. Feedback geben) zu gestalten und mit Konflikten konstruktiv umgehen zu können.
Zu Überlegung 2.) Sie tragen nun Verantwortung für einen ganzen Bereich. Ihr aktiver Beitrag zur fachlichen Lösung tritt in den Hintergrund. Aber Ihr Fachwissen erlaubt es Ihnen, die Expertise Ihrer Mitarbeitenden zielgerichtet nutzbar zu machen und – über den eigenen Bereich hinaus – in größeren Zusammenhängen einzusetzen und zu fördern. Ihre Planung bezieht sich nun nicht mehr nur auf die Erledigung eigener Aufgaben, sondern erstreckt sich nun auch auf die Arbeitsplanung und -koordination Ihrer Mitarbeitenden. Mit Ihrer Verantwortung für einen ganzen Bereich sind Sie natürlich auch für die Berichterstattung der Ergebnisse verantwortlich.
¹In: Daigeler/Hölzl/Raslan: Führungstechniken, S. 9, Haufe Verlag Freiburg 2015
²In Anlehnung an Daigeler/Hölzl/Raslan: Führungstechniken, S. 135 f., Haufe Verlag Freiburg 2015