Beobachtungen zu einem Paradigmenwechsel im Führungsverständnis
Zukünftig immer wichtiger: Beziehungskompetenz
Agile Strukturen definieren die Führungsaufgabe neu: Verantwortung verlagert sich, Aufbauorganisationen weichen auf, es wird zunehmend in produkt- und projektbezogenen Teams gearbeitet. Das hat erhebliche Auswirkungen auf das Rollenverständnis und das Miteinander von Führungskräften und Mitarbeitenden: Viel mehr als in Hierarchien müssen nun Ziele und Zuständigkeiten in immer kürzeren Intervallen abgestimmt werden, die Verantwortung einzelner Teammitglieder wächst und klassische Führungsaufgaben verteilen sich nun im Team. Wie kann gute Führung in solch volatilen Kontexten gelingen? Und wie können vorhandene Organisationen den Wandel hin zu einer agilen Unternehmenskultur gut gestalten?
Klassische Führungsmodelle und -Methoden haben hier ausgedient, gleichzeitig gewinnen Werte eines menschlichen Miteinanders zunehmend an Bedeutung: Verbindlichkeit, Offenheit, Respekt, Mut und vor allem Vertrauen bilden die Basis eines funktionierenden Miteinanders. Führung kann im agilen Kontext nur funktionieren, wenn das Miteinander, das Vertrauen, letztlich die Beziehungsbasis stimmt. Dies ist jedoch alles andere als ein „Kuschelkurs”: Es fordert von beiden Seiten authentisches wertschätzendes Miteinander, die Bereitschaft, sich Kritik zu stellen und sich weiter zu entwickeln. Es wird mehr Konflikte geben. Positionen bieten keinen Schutz mehr: Es geht auch um ein Sich-öffnen auf den andern hin – und um die Arbeit an sich selbst.
Vertrauen als Basis beziehungsorientierter Führung
Vertrauen in die Kompetenz der Mitarbeiter:innen, ergebnisoffenes Agieren, Gelassenheit in Unsicherheit fällt vielen Führungskräften schwer. „Sei stark”, „Streng dich an”, diese inneren heroischen Botschaften prägten die Führungskräfte lange Zeit, zusammen mit der Vorstellung, vorne weg zu gehen, zu wissen, wie die Dinge laufen, zu retten, wenn etwas schief geht.
Aber heute funktioniert diese Haltung nicht mehr, auch wenn sie noch oft unbewusst in vielen Köpfen nachhallt: Angesichts von zunehmender Komplexität, Wandel, Informationsflut und schneller Wissensveralterung ist es eine absolute Überforderung, diesem Bild noch entsprechen zu wollen. Der neue Trend setzt auf postheroische Führung: Führungskräfte müssen nicht mehr selbst stark sein, sondern nutzen stattdessen das Potenzial ihrer Mitarbeitenden und setzen stärker auf Teamwork. Es gilt, eine Win-win-Situation für beide Seiten zu erreichen: Die Mitarbeiter:innen werden in ihrer Selbstverantwortung gestärkt und erleben vermehrt ihre Tätigkeit als sinnstiftend, die Führungskräfte spüren angesichts vielfältiger Herausforderungen eine Entlastung durch kompetente Mitarbeitende.
Unabdingbar: stimmige Balance zwischen Nähe und Abgrenzung finden
Beziehungsorientiertes Führen wäre jedoch völlig missverstanden, wenn es nur noch darum gehen würde, die Nähe zur mitarbeitenden Person zu suchen. Genauso wie eine zu große Distanz im Führungsverhältnis schaden kann, ist auch eine zu starke Empathie für eine förderliche Führungsbeziehung gefährlich. Es gilt, für diese Balance wach zu sein und hier immer wieder sorgfältig abzuwägen, um nicht in ein Extrem zu fallen und zu schauen, was nun tatsächlich situationsangemessen ist.
Beziehungskompetenz wird im agilen Kontext entscheidend sein. Führungskräfte, die ihre Beziehungskompetenz als eine zentrale Führungskompetenz ansehen und entwickeln, werden zukünftig mehr Erfolg haben und gute Fachkräfte halten können. Sie werden die Herausforderungen agilen Arbeitens besser bewältigen, zufriedenere Mitarbeiter:innen haben und letztlich selbst eine höhere Zufriedenheit mit sich und ihrer Aufgabe finden.
Sieben Empfehlungen für eine stärkere Beziehungsorientierung in der Führung:
- Bleiben Sie neugierig! Was haben Sie bisher an Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch nicht wahrgenommen? Gibt es noch unentdecktes Potenzial?
- Hören Sie genau zu – und hinterfragen Sie bewusst Ihre eigene Sicht der Dinge: Gibt es nicht auch andere sinnvolle Sichtweisen?
- Schenken Sie Vertrauen – und monitoren Sie das Ergebnis zeitnah mit den Beteiligten.
- Achten Sie auf Andersartigkeit. Setzen Sie sich bewusst mit Ihnen eher unähnlichen Persönlichkeiten auseinander und schulen Sie Ihre Integrationsfähigkeit.
- Sprechen Sie offen über gegenseitige Erwartungen und gleichen Sie diese im Dialog miteinander ab.
- Nehmen Sie Konflikte ernst und leben Sie vor, wie wertvoll es ist, auch andere Meinungen zu hören.
- Seien Sie geduldig – Verhaltensänderungen brauchen Zeit und die Bereitschaft, sich immer wieder neu darauf einzulassen. Und – nehmen Sie sich nicht zu viel auf einmal vor!