In der Geschichte scheint keine Gesellschaft so komplex wie die gegenwärtige. Ständige Veränderungen sind allgegenwärtig, der Wandel wird immer rasanter, unvorhersehbare Ereignisse wie die Corona-Pandemie gilt es zu bewältigen. Damit wird der Umgang mit Komplexität für Führungskräfte zu einer der wichtigsten Herausforderungen!
Hier erhalten Sie einen kurzen Einblick, wie Sie dieser Komplexität mit modernen Führungstechniken wie dem „adaptiven” Führungsstil erfolgreich begegnen.
Was ist Komplexität?
Mit „komplex” wird ein System, eine Sache oder ein Problem bezeichnet, das durch beispiellose Eigenschaften charakterisiert ist:
• Viele, nicht zu überblickende Variablen
• starke Vernetzung und Abhängigkeiten aller Variablen untereinander
• starke Veränderungsbereitschaft ohne fremdes Zutun
• Intransparenz im Hinblick auf die beteiligten Variablen und die Zielstellungen
• viele sich gegenseitig beeinflussende und sogar widersprechende Ziele
• Unsicherheiten, Sprunghaftigkeit in allen Lagen
Mindset
„Er wisse, dass er mehr helfen als herrschen soll“. Benedikt von Nursia (+ 547)*
Nicht wenige Führungskräfte favorisieren Überschaubarkeit und Ordnung in ihren Vorgehens- und Bearbeitungsweisen. In komplexen Sachverhalten lassen sich Ordnungsmuster nur selten aufrechterhalten. Manchmal bringen schon kleinste Veränderungsimpuls unvorhersehbare Auswirkungen mit sich. Führung in einer komplexen Welt bedeutet Abschied nehmen von Machbarkeit, Gewissheit, Planbarkeit und Vereinfachung.
Es ist angesichts der Unbestimmtheit in komplexen Sachverhalten nicht allein einer Führungskraft aufzugeben, diese zu bewerkstelligen. Deshalb gilt es die Mitarbeitenden gezielt mit einzubeziehen und einen Rahmen kollektiver Bewältigungsstrategien zu etablieren. Im Idealfall ist eine Führungskraft in der Lage, den Mitarbeitenden ein für komplexe Probleme zweckvolles Mind-Set zu vermitteln und sie in alle Prozesse der Bewältigung mit einzubeziehen.
Komplexität entzieht sich dem direkten Zugriff, der umfassenden Beschreibung, dem Durchregieren, weil Vieles und Unterschiedliches gleichzeitig abläuft. Führungskräfte sehen sich somit einer beträchtlichen Spannung ausgesetzt: Einerseits gilt es Orientierung zu schaffen, um komplexe Probleme selbst durchschauen und Handlungsoptionen entwickeln zu können, dann sind zudem auch die Mitarbeitenden zu führen, zu fördern und zu motivieren.
Damit stellt sich die Frage nach dem richtigen Führungsstil. Nur: Den richtigen Führungsstil wird es nicht geben. Dazu verändern sich bei Komplexität die Sachverhalte zu häufig. Dazu sind aber auch die Mitarbeitenden zu unterschiedlich. Führung à la Prêt-à-Porter ist keine Option.
Dennoch können einige Aussagen getroffen werden. Komplexe Kontexte verlangen von Führungskräften, dass sie sich jeweils neu auf die Situation einstellen und einpendeln. Sie verlangen aber auch danach, die Mitarbeiter:innen in den sich je dynamisch verhaltenden Situationen angemessen zu führen.
Vielversprechend wird angesichts der wachsenden Komplexität eines Unternehmens bei der Entscheidungsfindung und -umsetzung ein partizipativer Führungsstil sein. Hier treten hierarchische Unterschiede in den Hintergrund, was zu einer horizontalen und schnellen Auseinandersetzung und Informationsverteilung verhilft, die bei der Bewältigung komplexer Themen entscheidend sein können. Eigenverantwortung, Wertschätzung und gegenseitiges Vertrauen charakterisieren diesen Führungsstil und wirken sich positiv auf Bewältigungsstrategien, Mitarbeiterzufriedenheit und Leistungsbereitschaft aus.
Adaptive Führungsstile fördern die selbständigen Fähigkeiten der Mitarbeiter:innen und das bereichsübergreifende Denken und Problemlösen – was für die Bewältigung von Komplexität zentral ist. Während visionäre Führungskräfte einen klaren Plan davon haben, was es in komplexen Sachverhalten zu tun gilt, erarbeitet eine „adaptive“ Führungskraft einen solchen Plan gemeinsam mit den jeweiligen Beteiligten. Führung ist ein Diskussionsangebot bei der Suche nach der bestmöglichen Bewältigung komplexer Herausforderungen. Die angemessene Lösung entsteht erst aus den vielen Vorstellungen und Skizzen der am Prozess Beteiligten. Durch die Partizipation sind viele in der Verantwortung und bleiben nach der Lösungsfindung motiviert für deren Ausführung.
Das Ziel ist es, die Mitarbeitenden ständig anzuregen, Verbesserungen vorzuschlagen, um die Abläufe des Unternehmens und den partizipativen Diskurs zu optimieren. Alleingänge, Durchregieren, Machtgehabe, Auffälligkeiten, wie Narzissmus, Perfektionismus, aber irrationale, falsch verstandene mystische Vorstellungen von Charisma haben ausgedient. Toxische, heroische und opportunistische Führungsstile sind überholt. Partizipation und Kooperation sind keine Allheilmittel, wenn nicht adaptive (genauer akkommodative) Bewältigungsstrategien Anwendung finden.
Assimilative Bewältigungsstrategien ordnen Sachverhalte in eigene bestehende Schemata und Muster ein. Komplexität wird dann so bearbeitet, dass sie sich in die vorhandenen Gewohnheiten einpasst. Adaptive, akkommodative Bewältigungsstrategien nehmen die Komplexität wahr und versuchen, die eigenen bestehenden Gewohnheiten und Schemata aufzubrechen bzw. zu erweitern, um den Herausforderungen gerecht zu werden.
Adaptive Führung ist ein Konzept, das Menschen und Organisationen dazu bringen will, sich komplexen Veränderungen rasch anzupassen.
Ziel ist es, den Anpassungsprozess hinderliche Verhaltensweisen zu reduzieren und eine bewusste Auseinandersetzung mit der Situation zu ermöglichen. Diese Auseinandersetzung findet zielführend in einer partizipativen und kooperativen Atmosphäre statt. Führung in komplexen Lagen kann also kaum mehr im Alleingang stattfinden.
Voraussetzungen für einen adaptiven Führungsstil
Die Voraussetzung für diese Art der Führung ist ein umfassendes Verständnis des komplexen Systems sowie seiner einzelnen Parteien und Dynamiken im Unternehmen. Eine „adaptive” Führungskraft erarbeitet ein Konzept gemeinsam mit den Beteiligten. Sie weiß, dass detaillierte Analysen oder minutiöse Planung keine Sicherheit bedeuten. Sie weiß, dass die lineare Fortschreibung bewährter Modelle keine Garantie für Erfolg ist. Diese Führungskraft setzt auf Elastizität im Denken, Selbstorganisation und auf die Fähigkeit, Störungen als Musterwechsel zu begreifen, die Lernprozesse anstoßen können.
Konkret heißt das: Eine Führungskraft, die adaptiv führt, ist in der Lage
- die unterschiedlichen Anforderungen, die die verschiedenen Mitarbeiter:innen an ihr Führungsverhalten stellen, zu erkennen. Sie führt mitarbeiterdifferenziert.
- auf die vielfältigen Veränderungen der zu führenden Menschen flexibel zu reagieren,
- die Motivation und die Fähigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzuschätzen und die zu Grund liegenden Annahmen über diese Einschätzungen zu überprüfen
- selbstreflexiv zu arbeiten. Sie hinterfragt sich, ihr eigenes Verständnis von Führung und Führungsverhalten in Bezug auf die Mitarbeiter
- aus der Perspektive eines externen Beobachters heraus zu reflektieren, wie ihre mentalen Muster (Gedanken, Einstellungen, Haltungen und Präferenzen) und Emotionen ihr Verhalten beeinflussen
- unterschiedliche Führungsstile für unterschiedliche Mitarbeiter geltend zu machen.
Diese Führungskraft kann die Prozesse der Komplexitätsbewältigung darüber hinaus vermitteln und moderieren.
Erfolgreiche Führung geht nur gemeinsam
Führung kann heute kaum mehr im Alleingang stattfinden. Erfolgreiche Führung ist in komplexen Wirklichkeiten das Produkt gemeinsamer Entscheidungsfindung. Führungskräfte benötigen ein reichhaltiges Repertoire an Dialog- und Führungstechniken, eine ausgeprägte Rollensicherheit, Methodenkompetenz, sowie ein generalistisches Moment zusätzlich zur Fachexpertise.
* Regula, 64, 8 (http://www.abtei-michaelbeuern.at/fileadmin/user_upload/Kloster/Benediktsregel.pdf)