Was unterscheidet den Onlineriesen Amazon vom kleinen Buchhandel um die Ecke oder vom Haushaltswarengeschäft in der Innenstadt? Im Gegensatz zum stationären Einzelhandel nutzt Amazon alle verfügbaren Daten von Kund:innen. Die Klicks verraten die Vorlieben der Kund:innen, gezielte Werbung animiert zu weiteren Einkäufen. Dieses Vorgehen erklärt den großen wirtschaftlichen Erfolg von Amazon. Auch bei Abwicklung und Logistik wird nichts dem Zufall überlassen. Die Pakete landen zuverlässig vor den Haustüren, was zu einer hohen Kund:innenzufriedenheit führt. Möglich wird all dies durch eine konsequente Digitalisierung aller Prozesse, vom herstellenden Unternehmen bis zu den Endverbrauchenden. Doch solch eine „Digital Supply Chain“ ist beileibe nicht nur etwas für Großkonzerne. Auch mittelständische Unternehmen profitieren von einer digitalen Lieferkette. Diese erhöht Geschwindigkeit und Effizienz, spart Kosten und kommt auch bei Kund:innen gut an.
Beispiel: Digital Supply Chain
Wenn alle Prozesse digitalisiert sind, teilen Lkw auf der Fahrt zum Lager ihre Position und die voraussichtliche Ankunftszeit im Logistikzentrum mit. Daraufhin wird automatisch eine Laderampe reserviert, der Entladeprozess erfolgt dadurch sehr viel effizienter. Oder: Wenn ein:e Kund:in sich für ein Produkt interessiert, kann ihm das Unternehmen in Bruchteilen einer Sekunde mitteilen, ob dieses verfügbar ist und wann es geliefert werden könnte – das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der:die Kund:in tatsächlich bei diesem Unternehmen kauft und nicht bei der Konkurrenz. Durch eine konsequente Digital Supply Chain kann also aus jedem mittelständischen Industrie-, Handels- oder Logistikdienstleistungsunternehmen ein „kleines Amazon“ werden – mit deutlich verbessertem Umsatz und Gewinn.
Definition: Das ist Digital Supply Chain
Vom Rohstoff bis zum Endverbrauchenden: Ziel einer digitalen Supply Chain ist es, alle Prozesse entlang der kompletten Lieferkette digital darzustellen, bei Bedarf auch rund um den Globus. Das führt zu einem präzisen Bestands- und Sortimentsmanagement. Im Idealfall hat das Unternehmen dadurch immer das richtige Produkt in der richtigen Menge am richtigen Ort vorrätig. Mit Hilfe der digitalen Supply Chain lassen sich die Bestände oder die Interaktionen mit den Kund:innen in Echtzeit überwachen. Mit diesen Informationen werden die Planungen und das operative Management viel effizienter. Auch auf auftretende Schwierigkeiten – etwa in der Fertigung – können die Firmen flexibler reagieren. Neben niedrigeren Kosten hat die Digital Supply Chain auch Vorteile für die Umwelt: Überproduktionen lassen sich vermeiden. Etwa im Supermarkt: Riesige Berge nicht verkaufter Lebensmittel am Abend würden bei einer konsequenten digitalen Lieferkette der Vergangenheit angehören, weil der benötigte Bedarf viel genauer bestimmt werden kann.
Umfrage: Was bringt die digitale Lieferkette?
Eine digitale Lieferkette lohnt sich: Studien zeigen, dass sich durch Digital Supply Chain die Effizienz im Unternehmen jährlich um 4,1 Prozent steigern lässt und dass sich die Einnahmen um 2,9 Prozent erhöhen. Kein Wunder, dass viele Firmen bereits auf den Digitalisierungszug aufgesprungen sind: Bei einer Umfrage der Unternehmensberatung PWC im Jahr 2019 sagten 81 Prozent der 2000 befragten Unternehmen, dass sie mit der Digitalisierung ihrer Wertschöpfungskette bereits begonnen haben. 78 Prozent planen erhebliche Investitionen in die digitalen Technologien. Wie hoch die Kosten für eine konsequente Digitalisierung der Lieferketten genau sind, lässt sich pauschal schwer sagen: Dies hängt sehr stark vom Unternehmen ab und muss im Einzelfall bestimmt werden.
Vom Status Quo zum digitalen Performer: Die ersten Schritte
Eine Datenverarbeitung hat heutzutage jede Firma. Aber nicht selten arbeiten Unternehmen noch mit einfachen Systemen wie dem Tabellenkalkulator Excel, und selbst Faxe werden bei Lieferungen noch hin und her geschickt. Weil die Prozesse nicht aufeinander abgestimmt sind, gibt es vielfache Unterbrechungen. Listen werden an einem Ort ausgedruckt und dann woanders wieder in ein digitales System eingegeben – die Daten müssen immer wieder „angefasst“ werden. Das alles ist aufwändig und kostet Arbeitszeit. Ziel der digitalen Supply Chain ist es, alle Daten, mit denen das Unternehmen täglich umgeht, konsequent in eine digitale Prozesskette zu integrieren. Wirklich physisch findet dann nur noch der Warenfluss statt.
Im ersten Schritt ist es wichtig, den Status Quo genau zu analysieren. Wo stehe ich? Wie laufen die Prozesse im Unternehmen heute ab? Was sind die Schnittstellen? Wo hakt es? Wo gibt es Zettelwirtschaft statt digitaler Datenverarbeitung?
Wichtig ist auch die Frage nach den eingesetzten Computersystemen: Reicht das, was ich bislang habe? Oder benötige ich eine komplett andere Lösung?
Aufbauend auf dieser Analyse gilt es dann, einen genauen Fahrplan zu erstellen, um die vorhandenen digitalen Lücken zu schließen. Das ist umso komplexer, je größer das Unternehmen ist und je mehr Verästelungen – zum Beispiel auch in andere Länder – es gibt. Wichtig ist, bei der Entwicklung die Mitarbeitenden mit einzubeziehen: Auf sie kommen völlig andere Arbeitsweisen zu. Ein entscheidender Aspekt ist zudem der Datenschutz: Da der Missbrauch zunimmt, ist ein professionelles Datensicherheitsmanagement bei der Digital Supply Chain unerlässlich.
Big Data und Künstliche Intelligenz: Alles noch Zukunftsmusik?
Die Lieferketten vom herstellenden Unternehmen bis zum Endprodukt digital darzustellen ist aber noch nicht alles. Angewendet werden bei der Digital Supply Chain auch Technologien der Logistik 4.0, zum Beispiel Big Data, Robotik, Internet of Things oder Künstliche Intelligenz. Manches ist noch Zukunftsmusik, anderes hat bereits Einzug in den Arbeitsalltag erhalten.
Einen Mehrwert für die Unternehmen stellen die digital erfassten Daten dar. Denn diese enthalten viele Informationen über Bedürfnisse und Wünsche der Kund:innen. Wer hat was und zu welchem Zeitpunkt gekauft? Gibt es weitere Produkte im Unternehmen, die dazu passen könnten? „Das könnte Sie auch interessieren“: So macht der Onlineriese Amazon seine Kund:innen auf weitere Angebote aufmerksam – ein ähnliches Vorgehen rechnet sich auch für mittelständische Unternehmen.
Ein spannendes Zukunftsfeld ist die Künstlicher Intelligenz (KI). Damit lassen sich komplexe Situationen verknüpfen. Im Handel erkennt das System zum Beispiel, dass Sommer ist und die Temperaturen über 25 Grad steigen – das bedeutet, dass mehr Eis verkauft wird und deshalb entsprechend mehr geliefert werden muss. Bei einem Cateringservice weiß das System, dass ein Feiertag bevorsteht und deshalb die Betriebskantinen geschlossen bleiben und keine Lieferung benötigen, während Krankenhäuser auch an diesem Tag mit Essen versorgt werden müssen.