HR-Diagnostics: Eine Reise im Beurteilungsuniversum?

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Digitalisierung und Big Data sind in aller Munde und machen natürlich nicht vor dem Thema Eignungsdiagnostik Halt.

Mit Digitalisierung ist hier weit mehr gemeint, als bisher verwendete computergestützte Online-Fragebögen. Es geht um völlig neue Methoden der Eignungsbeurteilung für verschiedene Anwendungsbereiche im Unternehmen: Online-Tools, Apps und zahlreiche Software versprechen eine qualifizierte, vorurteilsfreie – weil IT-gestützte – Personaldiagnostik, die auf der Auswertung unterschiedlicher HR-Daten basiert, häufig auch „People Analytics“ genannt. In vielen Unternehmensbereichen (z. B. im Marketing und Vertrieb) werden bereits Unmengen von Daten zu Algorithmen verarbeitet, damit Prozesse automatisiert und Entscheidungen zahlenbasiert abgeleitet werden können.

Aber geht das auch bei der Beurteilung von Menschen? Z. B. im Recruiting, im Talent Management bei der Potenzialanalyse, bei der Standortermittlung eines Teams oder der Persönlichkeitsanalyse der einzelnen Mitarbeitenden? In all diesen Situationen geht es um Eignungsdiagnostik, die weitreichende Entscheidungen nach sich zieht.

Wo stehen wir heute?

In der aktuellen Diskussion der Fachleute scheiden sich die Geister. Die Befürworter und innovativen Denker sind begeistert. Die Online-Tools sind meistens kostengünstiger, Ergebnisse stehen quasi in Echtzeit zur Verfügung und das frühere subjektive Bauchgefühl – z. B. bei der Personalauswahl – wird durch eine gezielte Datenanalyse ersetzt. Hört sich erstmal gut an. Die tradierten Eignungsdiagnostiker lehnen jedoch den Einsatz der digitalen Diagnostikverfahren kategorisch ab und sind entsetzt über die Vielzahl der aus dem Boden sprießenden It-Tools und deren (unseriöse) Versprechungen. Sie vertrauen weiter auf etablierte Verfahren.

Doch was befindet sich zwischen diesen beiden Extremhaltungen? Hier geht es nicht um die Frage richtig oder falsch, ganz oder gar nicht. Es braucht vielmehr Fachexpert:innen, die sich dem neuen Weg öffnen und durch ihre Erfahrung und ihr Wissen die wirklich nutzbaren digitalen Verfahren aus der großen Masse herausfiltern.

Worauf es bei der Auswahl der digitalen Tools ankommt

Ausgangsbasis für den Einsatz dieser Verfahren sind zunächst eine klare Zielrichtung und eine klare Auftragsklärung. Was soll damit erreicht werden? Erst danach erfolgt die Auswahl der möglichen Verfahren. Bei den voranschreitenden Digitalisierungsbestrebungen der Unternehmen gewinnen z. B. Online-Tests für datengetriebenes Recruiting und der Aufbau aussagekräftiger People Analytics-Systeme immer mehr an Bedeutung. Sie reduzieren zum einen den Zeitaufwand und versprechen zum anderen Objektivität. Das Bauchgefühl der einzelnen Recruiter:innen wird quasi durch die Unbestechlichkeit digitaler Tools ersetzt. Gleiches gilt auch bei den Online-Analysetools zur Persönlichkeits- und Kompetenzanalyse oder Werteermittlung von Mitarbeitenden und deren Verhaltensrisiken unter bestimmten Einflussfaktoren.

Bei der Auswahl der digitalen Verfahren haben sich bestimmte Qualitätskriterien durchgesetzt, anhand derer Personaler:innen erkennen können, ob das jeweilige Tool ihren Erwartungen standhält. An erster Stelle steht die Objektivität. Dabei gilt, je geringer der Einfluss der Durchführenden auf das Ergebnis, desto höher die Objektivität (Gegenbeispiel: Einstellungsinterviews haben eine sehr geringe Objektivität). Beim Kriterium Reliabilität geht es darum, wie exakt die getroffenen Aussagen sind und ob sie auch über eine längere Zeit hinweg Gültigkeit besitzen. Das Validitätskriterium gibt Hinweise darauf, ob die gewählte Methode tatsächlich in der Lage ist, das zu messen, was gemessen werden soll. Zusätzlich sind die Akzeptanz des Verfahrens bei den Zielpersonen und die Manipulierbarkeit einer diagnostischen Methode wichtige Erfolgsindikatoren.

Persönlichkeitstests und Leistungsverfahren gibt es schon länger in onlinebasierten Varianten, welche diese Qualitätskriterien erfüllen. So kann z. B. ein Online-Assessment Raum und Zeit sparen, Video-Interviews sind schneller umsetzbar, Sprachanalysen erstellen ein differenziertes Persönlichkeitsprofil. Eignungsdiagnostische Online-Methoden können also durchaus wertvolle beurteilungs- und auswahlrelevante Erkenntnisse über die Leistungsfähigkeit, Persönlichkeit, Interessen oder den Cultural Fit eines Kandidaten liefern. Dabei wird der Einsatz von Gamification immer interessanter, da sich dadurch gerade für die jüngere Generation die Akzeptanz der eingesetzten Verfahren im spielerischen Umfeld erhöht.

Nicht „entweder oder“, sondern „und”

Will man den Weg der Digitalisierung in der Eignungsdiagnostik mitgehen – und über kurz oder lang wird sich hier keiner mehr vollständig davor verschließen können oder wollen –, kommt es auf die Beachtung der oben genannten Qualitätskriterien an. Eine einwandfreie Technik, die eine valide Datenqualität gewährleistet, ist ebenfalls eine wichtige Voraussetzung. Es liegt auf der Hand, dass bei der Verarbeitung derart sensibler personenbezogener Daten das Thema Datenschutz höchste Priorität hat. So verbietet der Datenschutz, dass weitreichende Entscheidungen ausschließlich automatisiert erfolgen. Nach Überprüfung aller Kriterien und durch die Einbeziehung des Wissens und der Erfahrung von Fachexpert:innen, trennt sich schnell die Spreu vom Weizen bei der Sondierung der vielen Anbieter in der Eignungsdiagnostik, die derzeit mit zu großen Versprechen den Markt überfluten.

Es wird vorerst nicht möglich sein, sich nur auf die digitalen Verfahren zu verlassen. Neben diesen Instrumenten ist ein Offline-Zusammenkommen immer noch erfolgskritisch. Denn verbale und nonverbale Merkmale können derzeit nur ansatzweise über die Datenwelt übertragen werden. Bewährtes und Neues sollten sich hier ergänzen, Eignungsdiagnostiker:innen und Praktiker:innen zusammenarbeiten, genauso wie Online- und Offline-Verfahren miteinander kombiniert werden müssen. Dann wird es gelingen, durch den Einsatz verschiedener valider Instrumente die empirische Basis zu erhöhen, sichere Prognosen und gute Entscheidungen zu treffen.

Die Zukunft wird zeigen, wie sich die Welt der Digitalisierung entwickelt. Sicher ist, dass die Digitalisierung auch in der Eignungsdiagnostik zügig voranschreitet. Dennoch müssen bewährte Verfahren nicht komplett über Bord geworfen werden. Die Marschrichtung lautet: Eine gute Mischung macht’s!

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Zitat:
Nach wie vor geht es um die Beurteilung von Menschen.

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Über den:die Autor:in

Sandra Schönborn

Senior Consultant Leadership der Haufe Akademie.

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