Die Bedeutung der Mitarbeiter:innen für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens steht außer Frage – nicht erst seitdem das Talent Management zum Top-Thema geworden ist und die Auswirkungen des demografischen Wandels die öffentliche Diskussion prägen. Auch die Tatsache, dass durch HR-Aktivitäten Alleinstellungsmerkmale generiert werden können, wird zunehmend offensichtlich, betrachtet man wirksame Wege zur Profilierung auf dem Arbeitsmarkt durch die Schaffung einer Arbeitgebermarke. Dennoch klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander, wenn es um den Beitrag geht, den einerseits die Personalfunktion, andererseits die einzelne Führungskraft leisten sollten.
Führung vor neuen Herausforderungen
Die Herausforderung besteht zunächst darin, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das es Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ermöglicht, ihre Potenziale langfristig gewinnbringend einzusetzen. Entscheidend ist dabei das Vertrauen der Mitarbeiter:innen in die Unternehmensentwicklung und in die Führungskräfte. Allerdings haben nur 39 Prozent der von der Unternehmensberatung Towers Watson (2012) befragten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Vertrauen in die Arbeit der Unternehmensleitung. Auch glaubt lediglich die Hälfte der Befragten, dass das obere Management ein ernsthaftes Interesse an den Mitarbeitenden hat. In ähnlicher Weise zeigt der Gallup Engagement Index (2014) einen geringen Grad emotionaler Bindung, der direkt mit der Motivation der Mitarbeiter:innen, mit Fehlzeiten und Fluktuation korreliert. Nur 16 Prozent der Arbeitnehmenden besitzen eine hohe emotionale Bindung, 17 Prozent haben keine.
Als kritische Erfolgsgröße ist die mittlere Führungsebene zu sehen, da diese den größten direkten Einfluss auf die Mitarbeitenden-Beziehungen hat und den Grad des Mitarbeitenden- Engagements wesentlich bestimmt. Es sind die erfolgreichen Unternehmen, in denen die direkten Vorgesetzten hinsichtlich der Vereinbarung angemessener Leistungsziele, der fairen Beurteilung von Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiterleistungen und der transparenten Verknüpfung von Leistung und Gehalt besser bewertet werden. Die Steigerung der Führungs- und Managementqualität ist daher eine Schlüsselaufgabe für HR und Management. Wegweisend sollte hierbei ein neues Verständnis von Führung sein, so wie es die Harvard-Professorin Barbara Kellerman in ihrem Buch „The End of Leadership“ (2012) propagiert.
Das Ende der allmächtigen Führungskraft
Nachdem über viele Jahrzehnte das Ideal der allmächtigen Führungskraft die Leadership-Diskussion prägte, haben – nicht zuletzt durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien – Wissensmonopole und Hierarchien an Bedeutung verloren, hat sich die Macht von den Führenden zu den Geführten verschoben. Führungskräfte erreichen ihre Stärke erst durch das Wollen der Geführten, aus Leadership wird Followership. Dieser Trend wird sich mit dem weiteren Einzug der Generation Y in die Unternehmen noch verstärken. Eine optimale Symbiose zwischen Mitarbeitenden und Unternehmen impliziert dabei, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Fähigkeiten und Aufgaben entsprechende Gestaltungsspielräume gegeben und nicht nur Aufgaben, sondern auch Entscheidungsbefugnisse delegiert werden.
Führungskräfte, die den neuen Rollenanforderungen gerecht werden, zeichnen sich durch folgende Aspekte aus: Sie
- nutzen die tägliche Arbeitserfahrung als Entwicklungsbasis,
- sind sich der Psychologie des Lernens bewusst,
- vernetzen Mitarbeiter:innen mit Entwicklungspartnern,
- vermitteln Fähigkeiten im Umgang mit unternehmenspolitischen Entscheidungen,
- beeinflussen das Unternehmensumfeld zur Lernförderung.
Für den HR-Bereich stellt sich die Aufgabe, als Katalysator zu wirken und in einem Kontext abnehmender Intensität persönlicher Kontakte bei gleichzeitig steigender Umfelddynamik das Wissen der Führungskräfte und der Mitarbeiter:innen zusammenzubringen.
PE-Anforderungen und -Aufgaben
Zu den Herausforderungen zählen dabei die proaktive Ausrichtung der Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiterqualifizierung an der Unternehmensstrategie sowie die transferförderliche Gestaltung der Personalentwicklungsaktivitäten. Für die Unternehmenspraxis impliziert dies, wie in Abbildung 1 dargestellt, vier vom CCL Center for Creative Leadership (2011) identifizierte Handlungsfelder, die sich wie folgt konkretisieren lassen:
- Verstärkte vertikale Entwicklung, d. h. erfahrungsbezogene Entwicklung neuer Denk- und Handlungsmuster statt Vermittlung von Inhalten sowie das Entlernen und die Überwindung etablierter Denk- und Handlungsmuster.
- Klare Verantwortung des Einzelnen für seine eigene Entwicklung, da Autonomie und Eigenverantwortung intrinsische Motivation erzeugen, wobei sich HR als Entwicklungspartner versteht.
- Entwicklung eines neuen Führungsverständnisses, das Führung als kollektiven Prozess begreift, sich von dem „Great Man Mythos“ der heroischen Führungskraft löst und die Funktion von Führungskräften auf der Grundlage von Einfluss und Leistung, nicht der formalen hierarchischen Rolle definiert.
- Abkehr von inhaltsgetriebenen Personalentwicklungsevents hin zu Entwicklungsprozessen, die auf Selbsterleben und Coaching beruhen, sowie eine 360 Grad-Entwicklungsarchitektur schaffen, die den:die Mitarbeiter:in, seine:ihre Führungskraft und Kollegen in gleicher Weise einbindet.
Für die Personalentwicklung erfordert dies den Rollenwechsel vom Bildungsbroker zum Begleiter eines Organisationsentwicklungsprozesses, der in einem Netzwerk kontinuierlich neues Erfahrungswissen verbreitet. Dabei rückt das informelle Lernen von anderen in den Mittelpunkt – gestützt durch neue Lerntechnologien, soziale Netzwerke und Coaching.
Neben dem Lernen on-the-job gewinnt das Lernen in Projekten weiter an Bedeutung, seien es interne Unternehmensprojekte, aber auch externe Projekte. Neue Lernwege lassen sich auch durch explizite Freiräume für eigene Projekte erschließen. So ermöglicht es Google seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, 20 Prozent ihrer Arbeitszeit in eigene Ideen und Projekte zu stecken.
Weitere Bausteine einer neuen, bedarfsorientierten Lernarchitektur resultieren sowohl aus der Entwicklung von Mobile Learning-Anwendungen als auch der Nutzung von Social Media. Diese Lernwege gilt es in noch stärkerem Maße als bisher für Mitarbeiter:innen zu erschließen, wobei regelmäßig nicht die technische Infrastruktur, sondern die Lernkultur den Erfolg bestimmt – hier sind HR und Unternehmensführung in gleicher Weise gefordert, die tradierte Trennung von Lernen und Arbeiten endgültig aufzuheben, jeden Arbeitsplatz zum Lernort zu machen und allen Mitarbeitenden Wege zum lebenslangen Lernen zu eröffnen.
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