Hidden Talents in virtuellen Organisationen

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Wie Sie von Ihrer virtuellen Organisation profitieren, um die besten Talente zu finden

Heute die Videokonferenz mit dem Team in Italien, morgen der Skype-Termin mit dem:der Außendienstmitarbeiter:in in Singapur, übermorgen das Video von der neuen Produktionsstraße in Rumänien. Welche Kommunikationskanäle Unternehmen und Teams nutzen, um zusammenzuarbeiten, ist heute längst keine Frage der Kosten mehr, sondern allenfalls eine Frage der Bandbreite. Schwieriger wird es für virtuelle Organisationen, wenn es um die wertvolle Ressource der Talente geht. Wenn Führungskräfte und Mitarbeitende nur noch selten persönlich interagieren, weil sie weit entfernt voneinander arbeiten, besteht die große Herausforderung darin, Talente zu identifizieren und richtig einzuschätzen.

Räumliche Distanz stellt Talentsuche vor Herausforderungen

Um diese Herausforderungen zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf das traditionelle Talent Management. Allein der Prozess, Talente auszuwählen und zu identifizieren, findet dabei meist in einem streng limitierten Kreis statt. Wer ein Talent ist und wer nicht, bestimmt ein zentrales Gremium in Talent Konferenzen oder über Reviews, an denen die Talente selbst nicht beteiligt sind. Die Führungskraft schlägt das Talent vor, die Teilnehmer:innen der Konferenz entscheiden über den Vorschlag. Von außen, zum Beispiel durch Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Talent zusammenarbeiten, lässt sich darauf keinen Einfluss nehmen. Auch eine Bewerbung des Talents selbst ist nicht erwünscht oder möglich.

Durch die digitale Transformation von Unternehmen stößt diese Form des Talent Managements gleich mehrfach an seine Grenzen. Viele Führungskräfte sehen ihre Mitarbeitenden selten vor Ort, der Kontakt beschränkt sich hauptsächlich auf virtuelle Kommunikationskanäle wie Videokonferenzen, E-Mails und das Telefon oder IT-Plattformen, auf denen Projektmitarbeiter:innen Projekte bearbeiten. Damit steht immer die Technik zwischen dem Talent und der Führungskraft und vermittelt womöglich ein anderes Bild, als es im direkten persönlichen Kontakt möglich wäre. Zum anderen sind gerade junge Mitarbeiter:innen es gewohnt, sich und ihre Fähigkeiten virtuell zu präsentieren und in sozialen Netzwerken zu kommunizieren. Sachkundige Kommentare und Beiträge zeigen Kompetenzen auf und erhöhen die Chance, von Dritten oder den eigenen Führungskräften als Talent identifiziert und gefördert zu werden.

Videos und Ausschreibungen helfen im Auswahlprozess

Das traditionelle Talent Management, ausgerichtet auf den persönlichen Kontakt im Unternehmen vor Ort, steht damit vor großen Herausforderungen, die sich in folgenden Fragen zusammenfassen lassen:

  • Wie können Führungskräfte Talente in virtuell aufgestellten Organisationen identifizieren und deren Kompetenzen, Potenzial und Leistungen einschätzen?
  • Wie können sich Mitarbeitende als Talente ins Spiel bringen und ihre Karriere vorantreiben, ohne dass sie dabei von einer Führungskraft unterstützt werden?

Obwohl Talent Management und das Finden von Talenten in virtuellen Organisationen auf den ersten Blick ungleich schwieriger erscheint als in einem Unternehmen, in dem sich die Mitarbeiter:innen und Führungskräfte täglich sehen, gibt es in der Praxis vor allem zwei Lösungsansätze, die sich bereits bewähren: Den Auswahlprozess zum Beispiel mit Videos zu ergänzen, in denen sich die Bewerbenden persönlich vorstellen. Oder den Auswahlprozess mit Ausschreibungen transparenter zu gestalten und zu kommunizieren.

Hohe Akzeptanz von Videobewerbungen

Bei diesem Ansatz bewerben sich Talente mittels einer persönlichen Vorstellung für die Talent-Konferenz.

Psychologische Testverfahren wie Intelligenz- oder Persönlichkeitstests gehören zu den validesten eignungsdiagnostischen Verfahren. Weil viele Kandidierende und Bewerbende sie nicht akzeptieren, werden sie allerdings weniger eingesetzt als Assessments, Development Center und persönliche Interviews. Die am meisten verbreiteten Auswahlverfahren sind deshalb Interviews und die persönliche Vorstellung.

Persönliche Interviews werden bei der internen Talentsuche als sehr fair wahrgenommen. Die Interviews vermitteln den Talenten das Gefühl, an einem transparenten und objektiven Auswahlprozess teilzuhaben, was zu einer hohen Akzeptanz beiträgt. Führungskräfte und Entscheider:innen profitieren ebenfalls vom persönlichen Gespräch mit den Talenten. Der direkte persönliche Kontakt lässt eher ein Urteil darüber zu, ob und wie das Talent in die Unternehmenskultur passt, worin seine Motivation liegt oder ob sein Commitment zum Unternehmen wirklich belastbar ist.

Für die virtuelle Organisation stellt sich die Frage, wie sich die Vorteile einer persönlichen Vorstellung bei der Suche nach Hidden Talents auf die virtuelle Organisation übertragen lassen. Dabei haben sich Videointerviews als außerordentlich erfolgreich erwiesen. Das zeigt das Beispiel der Deutschen Telekom, die im Recruiting mit zeitversetzten Videointerviews arbeitet und dafür die viasto interview suite nutzt. Hier heißt es, dass man 20 Prozent der Top-Bewerber:innen ohne diese persönliche Form der Vorstellung per Video nicht erkannt hätte (Frank Staffler, Leiter Recruiting & Talent Services, Telekom).

Um für alle Bewerbenden gleiche Chancen zu schaffen, sollten diese Interviews wie persönliche Vorstellungsgespräche zeitlich begrenzt sein. Auf diese Weise lassen sich auch möglichst authentische Antworten provozieren. Die Bewerbenden müssen spontan antworten, weil keine Zeit bleibt, lange über eine Frage nachzudenken.

In dieser Form dienen aufgezeichnete Videobewerbungen als ergänzende Informationsquelle, die sich in Talent-Konferenzen nutzen lässt, um die passenden Talente zu identifizieren.

Mehr Chancengleichheit und Transparenz durch Ausschreibungen

Talent-Förderprogramme öffentlich oder intern auszuschreiben, ist eine weitere Möglichkeit, Talente zu finden, ohne die Führungskräfte am eigentlichen Auswahlprozess zu beteiligen. Dies kann zum Beispiel genderspezifische Verzerrungen aufheben und die Chancengleichheit aller Mitarbeiter:innen erhöhen (siehe auch Festing, Kornau, Schäfer, 2015 – Festing, M., Kornau, A., Schäfer, L. (2015). Think talent – think male? Eine gender-spezifische Analyse von Talent Management. PERSONALQuarterly, 02/2015, S. 34-39). Klassische Talent Reviews und Nominierungen von Vorgesetzten entfallen bei diesem Modell. Talente können sich vielmehr je nach Vorgabe mit einer E-Mail, einem Motivationsschreiben oder konkreten Ideen und Vorschlägen direkt für das Programm bewerben. Wer in das Programm aufgenommen wird, hängt unter anderem von der Anzahl der Bewerbungen und verfügbaren Plätze ab. Die Entscheidung über die Auswahl kann dann durch die Personalabteilung, ein dafür eingesetztes Gremium anhand vorab festgelegter Kriterien, oder ein Assessment Center getroffen werden.

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Der Vorteil dieser Lösung ist, dass Talente damit aktiv in ihren Entwicklungsprozess involviert werden. Sie müssen selbst aktiv werden, um voranzukommen. Talente zu finden und zu fördern ist damit nicht mehr vorrangig abhängig von einer Führungskraft, die dieser Aufgabe unter Umständen nur unzureichend nachkommt.

Unser Fazit: Nutzen Sie die Vorteile der virtuellen Organisation, um Talente zu finden

Selbst wenn die räumliche Distanz den persönlichen Kontakt auf ein Minimum reduziert, lassen sich mit technischer Unterstützung wie zum Beispiel Videokonferenzen Talente finden und fördern. Für die Talente und für die Organisation birgt die Talentsuche mit virtuellen Mitteln sogar Vorteile. Beide werden dadurch unabhängiger von Führungskräften, die Talente aus den verschiedensten Gründen nicht sehen, übersehen oder nicht fördern. Talente können ihre individuellen Stärken in der virtuellen Organisation möglicherweise sogar deutlicher zeigen und die Organisation auf Potenzialträger aufmerksam werden, die sie auf dem traditionellen Weg nicht erkannt hätte. Noch einen Schritt weiter geht, wer andere Mitarbeiter:innen als Dritte mit in den Sichtungsprozess einbezieht, wie es soziale Business-Netzwerke vormachen. Dort können Mitglieder ihre Kompetenzen zwar in ihren Profilen hinterlegen. Um als Experte anerkannt zu sein, zählen aber vor allem die Nominierungen durch andere Mitglieder. Diese Methode lässt sich auf Unternehmen übertragen. Das kann so weit führen, dass sich sogar Vorgesetzte von den Mitarbeitern wählen lassen, wie es bei Haufe-Umantis der Fall ist. Dieser mutige Schritt hat sich für das Unternehmen bereits im doppelten Sinne gelohnt: Das Konzept wurde bereits mehrfach prämiert und in renommierten Zeitschriften wie „brand eins“ als Best-Practice gelobt.

So finden Sie Ihre Hidden Talents in einer virtuellen Organisation

In einer virtuellen Organisation sind Talente häufig nicht auf den ersten Blick sichtbar. Zudem fällt es Führungskräften schwerer, Talente zu identifizieren, die sie aufgrund einer räumlichen Distanz nur selten sehen. Diese Maßnahmen helfen weiter:

  • Bieten Sie Videobewerbungen an. Ausgewählte Talente stellen sich in standardisierten, teil-strukturierten Videointerviews vor, die als Aufzeichnung jederzeit abgerufen werden können. Fragen und Zeit sind vorgegeben. Auf diese Weise lassen sich die Bewerbungen sehr gut vergleichen, zum Beispiel in einer Talent-Konferenz.
  • Schreiben Sie Talent-Förderprogramme öffentlich oder intern aus. Legen Sie fest, wie die Talente sich dafür bewerben können, zum Beispiel mit einem Motivationsschreiben oder eigenen Ideen zu einem bestimmten Thema. Legen Sie die Kriterien für den Auswahlprozess vorab fest oder führen Sie mit den aussichtsreichsten Kandidatinnen und Kandidaten ein Assessment-Center durch.

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Quellenangabe Blogbeitrag-Titelbild: ArtFamily/Shutterstock.com

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Über den:die Autor:in

Dr. Lynn Schäfer

Dr. Lynn Schäfer ist Geschäftsführerin des ESCP Europe Talent Management Institutes in Berlin und hat zuvor am Lehrstuhl für Personalmanagement und Interkulturelle Führung an der ESCP Europe zum Thema Talent Management promoviert. Als selbständige Beraterin unterstützt Sie zudem Unternehmen in Fragestellungen der Personalentwicklung, Trainings und Talent Managements. Vor der ESCP Europe hat Frau Schäfer mehrjährige Erfahrung im Recruiting, und im internationalen Personalmanagement bei McKinsey Deutschland sowie bei Bertelsmann in Gütersloh und in Shanghai gesammelt.

Über den:die Autor:in

Christian Severin

Neben seiner Tätigkeit als Coach ist Christian Severin hauptberuflich Führungskraft für Personal- und Führungskräfteentwicklung. Zuvor hat er als Management-Berater Kunden in den wesentlichen Branchen der Wirtschaft in HR und IT betreut und dort Strategieprojekte geleitet. Seine Ausbildung als systemischer Berater und Coach hat er am Institut für systemische Beratung in Wiesloch absolviert. Darüber hinaus ist er als Trainer in Projekt-Management- und Vertriebstrainings engagiert.

 

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