Zum Inhalt springen

Stakeholdermanagement einmal anders – Persönlichkeitstypologien im Projektmanagement

0

Woran scheitern Projekte? Diese Frage gewinnt nicht nur angesichts milliardenteurer Fehlschläge, wie dem Bau des Flughafens in Berlin, massiv an Bedeutung. In der Praxis zeigt sich, dass vor allem in der Kommunikation zwischen den Projektbeteiligten Verbesserungsbedarf besteht.

Mangelnde Kommunikation ist ein großes Risiko im Stakeholdermanagement. Die Studie „PMI’s 2013 Pulse of the ProfessionTM: THE HIGH COST OF LOW PERFORMANCE: THE ESSENTIAL ROLE OF COMMUNICATIONS“ weist nach, dass pro einer Milliarde US-Dollar Projektinvestitionen 135 Millionen US-Dollar im Risiko stehen, allein 56 % davon (75 Millionen US-Dollar) aufgrund ineffektiver Kommunikation mit den Stakeholdern im Projekt. Die Risiken lassen sich entschärfen, wenn es der oder die Projektmanager:in als dessen Aufgabe erkennt, die Projektziele mit den Zielen der Stakeholder in Gleichklang zu bringen. Ist diese Voraussetzung erfüllt, werden die Stakeholder das Projekt unterstützen.

Im klassischen Stakeholdermanagement ordnet man die Stakeholder in Abhängigkeit von ihrer Einstellung oder Motivation hinsichtlich des Projektes und ihrer Macht, respektive ihrem Einfluss, in einem Koordinatenkreuz an. Die Anordnung bildet die Basis, um daraus Maßnahmen wie Beobachten, Integrieren, Aktivieren oder regelmäßiges Informieren abzuleiten. Zwar liefert das klassische Stakeholdermanagement damit eine Antwort auf die Frage, was zu tun ist, macht aber keine klaren Angaben darüber, wie es zu tun ist. Persönlichkeitstypologien bieten einen praktikablen Weg aus diesem Dilemma.

Persönlichkeitstypologien als Methode zur Verbesserung der Stakeholderkommunikation

Im Allgemeinen dienen Persönlichkeitstypologien wie das „Insights Discovery-Modell“, der „Myers-Briggs-Typindikator“ (MBTI) oder das „Riemann-Thomann-Modell“ (RT-Modell) nach Fritz Riemann und Christoph Thomann dazu, unterschiedliche Persönlichkeitstypen gemäß ihrer zeitstabilen Verhaltensbereitschaften und entsprechender Persönlichkeitseigenschaften zu klassifizieren. Sie unterscheiden sich vor allem in den Kriterien, die sie für die einzelnen Persönlichkeitstypen anwenden. Die einzelnen Typologien sind für verschiedene Anwendungsfälle geeignet, unterstützen zum Beispiel bei der Personalauswahl, helfen bei der idealen Zusammenstellung von Projektteams oder bei der Identifikation passender Qualifizierungsmaßnahmen.Weil es für das Stakeholdermanagement, vor allem hinsichtlich der Kommunikation als besonders geeignet
erscheint, wird an dieser Stelle das „Riemann-Thomann-Modell“ (RT-Modell) näher vorgestellt. Sein wesentliches Merkmal ist die Einschätzung der Persönlichkeit von Menschen in ihrer Ausprägung einer räumlichen Dimension (Nähe versus Distanz) und einer zeitlichen Dimension (Dauer versus Wechsel). Die Extremformen der Grundtendenzen werden von Riemann als Krankheitsbilder beschrieben und aufgrund ihrer geringen Bedeutung für den Projektalltag hier nicht betrachtet.

Stakeholdermanagement

Die einzelnen Grundtendenzen

Die Nähe-Grundtendenz zeichnet sich durch das Streben nach einer festen Bindung, ausgeprägten sozialen Interessen und dem Wunsch nach Geborgenheit und Harmonie aus. Bei Menschen mit dieser Grundtendenz sind häufig ein hohes Einfühlungsvermögen und die Tendenz, andere Menschen zu idealisieren, vorhanden. Spannungen, notwendige Auseinandersetzungen oder gar Streitigkeiten werden vom „Nähe“-Mensch gerne vermieden und das „Nein“-Sagen fällt ihm schwer. In Projekten ist zu erwarten, dass Menschen mit einer ausgeprägten Nähe-Grundtendenz gerne im Team arbeiten, die Grundstimmung im Team positiv beeinflussen und ihre eigenen Interessen zum Wohle des Teams zurückstellen.

Kennzeichnendes Merkmal der Distanz-Grundtendenz ist der Wunsch nach Abgrenzung von anderen Menschen, um die eigene Individualität und Eigenständigkeit auszuleben und zu bewahren. Wesentliche Werte für den „Distanz“-Typ sind Einmaligkeit, Freiheit, Unbeeinflussbarkeit und Unabhängigkeit. Menschen mit einer Distanz-Tendenz zeichnen sich nicht selten durch ein hohes Maß an Selbstständigkeit und Autarkie aus, was sich darin äußert, dass sie gut alleine zurechtkommen. Es gelingt ihnen hervorragend sich abzugrenzen und das „Nein“-Sagen fällt ihnen leicht. Häufig haben sie einen ausgeprägten Intellekt und eine geschulte Wahrnehmung, die sich in einer hohen Sensibilität äußert. Die Kehrseite dieser Tendenz ist die Angst vor Nähe, da Menschen mit Distanz-Tendenz fürchten, ihre geschützte Individualität und Selbstständigkeit zu verlieren. Der Schutzmechanismus des „Distanz-Menschen“ ist häufig ein abweisendes, kühles, distanziertes Verhalten, das sich im Extremfall bis zur, für sein Umfeld befremdenden, Aggressivität steigern kann. Im Projektkontext ist zu erwarten, dass Menschen mit einer Tendenz zur Distanz lieber alleine an Aufgaben arbeiten, dort sehr gute Ergebnisse erzielen, sich aber gerne separieren und Team-Events nur auf begrenzte Begeisterung stoßen.

In der zeitlichen Polarität des Riemann-Thomann-Modells zeichnet sich die Dauer-Grundtendenz durch Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Pflichtgefühl und Bodenständigkeit aus. Menschen mit dieser Grundtendenz kann man vertrauen, sie setzen sich gerne für andere Menschen ein, die ihnen etwas bedeuten. Ordnung, Planung, Kontrolle und Sicherheit sind wichtige Werte für den „Dauer“-Typ. Er hält sich an Regeln und Vorschriften, hat Prinzipien und steht für diese ein. Auf der anderen Seite stellt man bei Vertretern dieser Grundtendenz eine hohe Risikoaversion und eine ausgeprägte Angst vor Veränderungen und Unvorhergesehenem fest. Das Treffen von Entscheidungen fällt ihm schwer, da Entscheidungen häufig mit Veränderungen einhergehen. Menschen mit der DauerTendenz stehen für Zucht und Ordnung und sind auch bereit, diese durchzusetzen, indem sie andere bevormunden und ihnen sagen, was richtig oder falsch ist. In Projekten werden Menschen mit einer ausgeprägten Dauer-Grundtendenz die Standards hochhalten, strukturierend auf das Projekt einwirken, die Bedeutung von Prozessen und Methoden unterstreichen und ein hohes Augenmerk auf Risiken im Projekt legen.

Wesentliche Merkmale von Menschen mit der Wechsel-Grundtendenz sind Spontaneität, Begeisterungsfähigkeit, Flexibilität und Risikobereitschaft. Sie können sich für Neues begeistern, sind aufgeschlossen und können ihre Umwelt mit Charme für sich gewinnen. Langeweile ist für „Wechsel“-Typen ein Fremdwort, sie stellen sich gerne neuen Herausforderungen, die sie durch ihre unbekümmerte und anpassungsfähige Art häufig erfolgreich meistern. Die Kehrseite der Wechsel-Grundtendenz ist die Angst vor allem Dauerhaften, Verbindlichen und Endgültigen. Notwendigkeiten und Einschränkungen wecken sofort Ängste bei Menschen mit einer ausgeprägten Wechsel-Grundtendenz. Auf Spielregeln, Verträge, Verpflichtungen, Vorschriften und Gesetze reagieren sie häufig ausweichend und versuchen sie zu umgehen. Das Verhalten von Wechsel-Typen ist genauso unvorhersehbar und schwer zu antizipieren wie der Farbwechsel eines Chamäleons. Vertreter:innen dieser Grundtendenz sind ständig auf der Suche nach Bestätigung, häufig launenhaft, chaotisch und leicht verstimmt. Im Projektalltag sind sie prädestiniert, um das Projekt zu „verkaufen“, neue Ideen einzubringen, etwas Neues auszuprobieren oder motivierend auf das Team einzuwirken.

Die Klassifizierung in die einzelnen Grundtendenztypen kann durch Selbst- oder Fremdeinschätzung geschehen. Typologien und Persönlichkeitsmodelle sind immer eine Vereinfachung der Wirklichkeit, sie erleichtern dem Anwender die Einordnung und das Verstehen komplexer Sachverhalte. Hierbei ist zu beachten, dass jeder Mensch alle Grundtendenzen unterschiedlich ausgeprägt in sich vereint. Menschen mit nur einer Grundtendenz gibt es nicht! Je nach Situation, Umfeld und persönlichem Empfinden wird sich mal diese und mal jene Grundtendenz durchsetzen. Insbesondere in Stress- oder Ausnahmesituationen zeigt sich bei jedem Mensch eine präferierte Grundtendenz.

Der Einsatz des RT-Modells in der Projektpraxis

Auf Basis des RT-Modells kann der:die Projektleiter:in Stakeholder in einem Projekt einschätzen und analog der identifizierten Grundtendenz Maßnahmen für die Projektpraxis ableiten. Diese Maßnahmen können unter anderem die Bereiche Aufgabenzuordnung, Aufgabenkomplexität, Kommunikationsverhalten, Reporting (Inhalt, Form, Struktur und Intervall), Meetingstrukturen, Art und Weise der Dokumentation oder die Konstellation des Teams für ein Projekt betreffen. Ein:e Projektleiter:in sollte beispielweise für konzeptionelle/strukturierende Aufgaben eher Projektteilnehmer:innen mit Dauer-Tendenz auswählen, während Projektmitglieder mit Wechsel-Tendenz gut zur Motivation von Teilteams oder zur Erarbeitung innovativer Ideen einsetzbar sind. Der mehrfache Einsatz des RT-Modells in Projekten und im Coaching von Projektleiterinnen und -leitern zeigt, dass das Modell einen wertvollen Beitrag zur Optimierung der Kommunikation mit den Stakeholdern und damit zum Projekterfolg leistet. Im Projektalltag erleichtert es, das Kommunikationsverhalten der beteiligten Personen einzuschätzen. Die eigene Kommunikation gegenüber den Stakeholdern lässtsich besser einstellen und justieren. Das RT-Modell unterstützt das gegenseitige Verständnis, hilft Konflikte zu klären und fördert das Vertrauen der Stakeholder und die vertrauensvolle Zusammenarbeit im Projektteam. Der wertschöpfende Einsatz von Ressourcen in der Projektarbeit wird somit wirksam unterstützt.

Literatur:
PMI’s 2013 Pulse of the ProfessionTM: THE HIGH COST OF LOW PERFORMANCE: THE ESSENTIAL ROLE OF COMMUNICATIONS, Riemann, Fritz: Grundformen der Angst, 2009.
Thomann, Christoph/Schulz von Thun, Friedemann: Klärungshilfe 1, 2011. Abschlussarbeit des JANUS-Studiengangs Coaching von Torsten Otto, nicht veröffentlicht,2008

Teilen Sie den Beitrag auf:

Über den Autor

Avatar photo
Torsten Otto

Leiter Competence Center Consulting Projekt-, Prozess und Change Management Haufe Akademie

Zur Themenübersicht Projekt- und Prozessmanagement