Future-Readiness-Gap überwinden: So werden Unternehmen zukunftsfähig
Warum Unternehmen in Zeiten beschleunigten Wandels ihre Anpassungsgeschwindigkeit erhöhen müssen – und wie sie das schaffen.
Unternehmen befinden sich ständig in Bewegung, sie müssen auf äußere Einflüsse reagieren und Innovationen hervorbringen. Vor diesem Hintergrund wird Lernen immer wichtiger – sowohl für die gesamte Organisation, als auch für einzelne Mitarbeiter:innen.
Verlieren deutsche Unternehmen den Anschluss an die Zukunft?
Im August 2023 erregte ein Artikel im „Economist“ großes Aufsehen. Im vermutlich wichtigsten Wirtschaftsmagazin der Welt wird Deutschland als der "kranke Mann Europas“ bezeichnet – mal wieder. Als einen entscheidenden Grund für diese These nennt das Magazin die mangelnde Geschwindigkeit der deutschen Wirtschaft bei der Digitalisierung und der Implementierung neuer Technologien. Im Vergleich zu anderen Ländern reagieren wir zu langsam auf Wandel – und gefährden so unsere Wettbewerbsfähigkeit.
Auch innerhalb des Landes sind in den letzten Jahren die Zweifel an der Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft gewachsen. Laut einer Allensbach-Umfrage glaubt die Hälfte der Bevölkerung, dass die Bundesrepublik in den nächsten zehn bis 15 Jahren nicht mehr zu den führenden Wirtschaftsnationen gehören wird.
Ich teile diese Besorgnis: Aus meiner Sicht wächst die Diskrepanz zwischen der Veränderungsgeschwindigkeit des Geschäftsfelds und der unzureichenden Anpassungsfähigkeit der Unternehmen. Ich nenne diese Kluft Future-Readiness-Gap.
Die aktuelle Lage: Zukunftsfähigkeit heißt Anpassungsfähigkeit
Der Ausdruck „Survival of the fittest“ wird häufig Charles Darwin zugeschrieben. Tatsächlich stammt er jedoch von Herbert Spencer, der Darwins Überlegungen zur natürlichen Selektion mit seinen eigenen ökonomischen Theorien verband. Denn in der Natur und in der Wirtschaft gilt gleichermaßen: Langfristig erfolgreich sind diejenigen, die sich besser an neue Bedingungen anpassen können.
Die großen Negativbeispiele für mangelnde Anpassungsfähigkeit sind vielen von uns präsent: Kodak ignorierte die Digitalfotografie zu lange, Toys R Us verschlief den Handel im Internet, und Blackberry konnte in einer Welt von Touchscreen-Smartphones mit seiner einst so beliebten Tastatur nicht mehr punkten. Aber es gibt immer auch Unternehmen die beweisen, dass es auch anders geht! Netflix etwa begann als Offline-Videothek, erkannte aber rechtzeitig die Zeichen der Zeit und das Potential des Streaming. Von den ehemaligen Konkurrenten ist kaum noch ein Unternehmen am Markt. Netflix hingegen ist zu einem der wertvollsten Entertainment-Unternehmen der Welt aufgestiegen.
Auch wir bei der Haufe Akademie haben bereits gespürt, wie brutal der Wandel ein Unternehmen treffen kann. Mit der Corona-Pandemie kam unser damals wichtigstes Geschäftsfeld komplett zum Erliegen. Die Weltlage machte Präsenzseminare zunächst unmöglich und in der Folge deutlich unattraktiver für Unternehmen und Mitarbeitende. Im Gegensatz zu einigen unserer Wettbewerber nutzten wir diesen Wandel und konnten sogar davon profitieren, weil wir schnell reagiert und konsequent auf Live-Online-Seminare umgestellt haben.
Bei den Geschichten von Unternehmen, die an diesen massiven, disruptiven Veränderungen gescheitert sind, werden in der Regel nur einige, wenige Unternehmensnamen wie Kodak genannt. Dabei gerät aus dem Blick, dass dieses Scheitern nicht die Ausnahme einiger weniger ist. Im Gegenteil. Wir haben gar nicht auf dem Schirm, wie groß (und wachsend) die Zahl an Unternehmen ist, die Jahr für Jahr in der Versenkung verschwinden, weil sie zu langsam auf den Wandel reagieren. Oder eben von Unternehmen, die seit Jahrzehnten erfolgreich sind, weil sie sich immer wieder angepasst haben.
Die Fähigkeit, sich kontinuierlich an Veränderungen anzupassen, unterscheidet nachhaltig erfolgreiche Unternehmen von denen, die irgendwann verschwinden. In einer Zeit des beschleunigten Wandels ist diese Erkenntnis von besonders hoher Bedeutung. Können wir uns den blinden Fleck, das Ignorieren, weiter leisten? Ich glaube, nein. Stattdessen brauchen wir Erfoglsstories, die zum Nachahmen einladen: Geschichten von Unternehmen, von mutigen Entscheiderinnen und Entscheidern, die ihr Unternehmen erfolgreich führen, weil sie sich immer wieder angepasst haben.
Eine Phase des beschleunigten Umbruchs
Wandel ist eine Konstante, in der Natur wie in der Wirtschaft. Doch es gibt immer wieder Phasen, in denen sich dieser Wandel besonders rapide vollzieht. Aktuell befinden wir uns in einer solchen Phase des beschleunigten Wandels. Sich mit ungekannter Geschwindigkeit weiterentwickelnde Technologien, wie Künstliche Intelligenz, bedrohen Geschäftsmodelle in ganzen Branchen und lassen neue entstehen. Immer schneller drängt neue Konkurrenten in einen globalisierten Markt. Und Polikrisen schaffen zusätzliche Herausforderungen für Unternehmen – von instabilen Lieferketten über ESG-Anforderungen bis hin zu einem von Vorsicht geprägten Kaufverhalten unter Endkonsument:innen. Auch im Arbeitsalltag sehen wir seit dem Auslaufen der Corona-Pandemie fundamentale Veränderungen, die den Aufbau neuer Kompetenzen in der Breite erfordern.
Studien wie der Accenture Pulse of Change Index bestätigen, dass die Veränderungsgeschwindigkeit exponentiell zunimmt. Mit dem Index analysiert das Beratungshaus, wie stark sich das Geschäftsumfeld von Unternehmen von Jahr zu Jahr verändert. Er zeigt, dass sich der Wandel in den letzten Jahren deutlich beschleunigt hat. Die Pandemie, geopolitische Krisen, Fachkräftemangel und neue Technologien zählten zu den größten Treibern der Beschleunigung im letzten Jahr. Für 2024 erwarten Unternehmenslenker:innen eine weitere Beschleunigung des Wandels.
Das Problem: Können unsere Unternehmen das Tempo mitgehen?
Der beschleunigte Wandel ist eine Herausforderung. Für Unternehmen, die das Tempo mitgehen können, bietet er aber auch immense Chancen. Ich denke, dass viele Menschen aktuell an der Zukunftsfähigkeit deutscher Unternehmen zweifeln, weil sie das Gefühl haben, dass diese Schwierigkeiten haben, sich dem beschleunigten Wandel anzupassen. Laut einer Studie des VDI stimmen weniger als ein Drittel der Bevölkerung der Aussage zu, dass Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern besonders schnell ist und neue Technologien zügig auf den Markt bringt.
Auch in persönlichen Gesprächen mit Entscheider:innen wird mir immer wieder klar, dass diese Schwierigkeiten real sind. Sätze wie diese höre ich dabei regelmäßig: „Warum dauert es so lange, bis wir in der Breite auf Veränderungen reagieren?“ „Warum bekommen wir neue Technologien nicht schneller in die Nutzung?“ “Warum fällt es uns so schwer, Innovationen zu entwickeln und auf den Markt zu bringen?” „Wie steuere ich Weiterbildung, wenn ich noch nicht einmal weiß, welche Fähigkeiten in der Zukunft benötigt werden?“
Aus meiner Sicht sind diese Schwierigkeiten, mit dem Wandel umzugehen, allesamt Ausdruck mangelnder Fähigkeiten zur Anpassung. Konkret bedeutet das:
- Die Fähigkeit zur Adaption: Dazu müssen Organisationen ermöglichen, dass Mitarbeiter:innen schnellen und sehr individuellen Zugriff auf neue relevante Themen haben.
- Die Fähigkeit zur Transformation: Dazu müssen Organisationen ermöglichen, dass Expertise aus der eigenen Organisation und Impulse von außen über eine passende Vernetzungsdichte in alle Bereiche der Organisation kommen kann.
- Die Fähigkeit zur Innovation: Dazu müssen Organisationen ermöglichen, dass Mitarbeiter:innen durch horizontale Kompetenzen (die sogenannten Future Skills) optimal zusammenarbeiten und durch die richtige vertikale Expertise (Spezialisierung) Neues schaffen können
An diesen drei Punkten müssen Unternehmen ansetzen, wenn sie anpassungsfähiger werden und dadurch nachhaltig wettbewerbsfähig sein wollen.
Die Lösung: L&D und Technologie können Wandel zum Wettbewerbsvorteil machen
Nur: Wie geht das? Wie bauen Unternehmen diese Fähigkeiten auf und erhöhen so ihre Anpassungsgeschwindigkeit? Ich bin überzeugt, dass L&D dabei eine wichtige Rolle zukommt und Technologie ein entscheidender Schlüssel ist. Neue Technologien sind nicht nur eine Ursache für den beschleunigten Wandel, sondern auch ein Mittel, um besser mit ihm umzugehen.
Der transformative Einfluss von Technologie auf unseren privaten Alltag ist längst eine Selbstverständlichkeit. Sie bestimmt, wie wir mit unseren Freundinnen und Freunden kommunizieren, wie wir unseren Haushalt organisieren, wie wir unseren persönlichen Interessen nachgehen und wie wir uns im Familienkreis unterhalten lassen. Diese Paradigmen und Vorzüge allseits bekannter digitaler Plattformen können auch Unternehmen in ihren Prozessen und Angeboten zu L&D nutzen. Mehr noch: Wenn diese Angebote bei den Mitarbeitenden auf Akzeptanz stoßen und so dauerhaft zu einer Verbesserung der Anpassungsfähigkeit führen sollen, müssen sie es.
Das würde es Mitarbeitenden erlauben,
- passende Inhalte so einfach zu finden wie auf YouTube und damit Effizienz und unmittelbare Handlungsbereitschaft verbinden. Relevante Informationen so einfach zu teilen oder zu konsumieren wie auf Instagram und damit schnelle Erfolgserlebnisse und Personalisierung verbinden.
- Communities of Interest so einfach zu bilden wie auf Teams oder Facebook und so imminente Fragestellungen mit bereits im Unternehmen vorhandener Lösungskompetenz verbinden.
- Wissen und Expertise so einfach an viele Nutzer:innen weiterzugeben wie auf WhatsApp und so Geschwindigkeit und Skalierbarkeit verbinden.
Der beschleunigte Wandel ist eine Realität. Wir müssen aufhören, aus Angst unsere Augen vor dieser Realität zu verschließen – und stattdessen dafür sorgen, dass unsere Unternehmen das Tempo mitgehen können. Mit zeitgemäßem L&D und sinnvollem Einsatz von Technologie kann der Future-Readiness-Gap nachhaltig geschlossen und Wandel zu einem Wettbewerbsvorteil werden.
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