Wesentlichkeitsanalyse – was ist wesentlich und warum?
Wer sich mit Corporate Sustainability befasst und plant, Nachhaltigkeit zum Dreh- und Angelpunkt der Unternehmensstrategie zu machen, der kommt eher früher als später in Kontakt mit dem Thema der Wesentlichkeitsanalyse. Dazu gehört, sowohl ökologische als auch soziale und ökonomische Ziele in den Blick zu nehmen. Dabei stellt sich die Frage, welche Themen am wichtigsten sind und wie sie bewertet werden. Warum eine Wesentlichkeitsanalyse nicht nur eine Pflicht, sondern auch eine Chance für Unternehmen ist, erfahren Sie hier.
Hintergrundwissen: Nachhaltigkeit und Wesentlichkeit
Die Nachhaltigkeitsberichterstattung steht bei vielen Unternehmen seit Jahren auf der Agenda und ist inzwischen zur Pflicht für viele geworden – oder wird es bald. Um zu verstehen, was es mit der Wesentlichkeitsanalyse auf sich hat, sind einige Fachbegriffe zu lernen und zu verstehen, u. a.
- ESG: Environmental, Social, Governmental – dabei handelt es sich um die relevanten Themenfelder.
- CSRD: Corporate Sustainability Reporting Directive – eine Richtline für die Nachhaltigkeitsberichterstattung.
- ESRS: European Sustainability Reporting Standards – einheitliche Standards nach denen europäische Unternehmen berichten.
Begriffe wie diese gehen vor allem bei größeren Konzernen schnell in Fleisch und Blut über, aber auch in kleineren Unternehmen gehört die nichtfinanzielle Berichterstattung auch ohne gesetzliche Verpflichtung zum Repertoire. Seit 2024 sind große kapitalmarktorientierte Unternehmen berichtspflichtig. Die Berichtspflicht kommt stufenweise – so werden bis 2028 alle weiteren Unternehmen berichten müssen.
Was ist eine Wesentlichkeitsanalyse?
Oder anders gefragt: Was ist eine Wesentlichkeitsanalyse nicht? Sie ist kein Bericht, der – einmal erstellt und eingereicht – nicht wieder angefasst werden muss. Stattdessen handelt es sich bei einer Wesentlichkeitsanalyse, auch Materialitätsanalyse genannt, um einen (kontinuierlichen) Prozess zur Identifizierung und Bewertung verschiedener Nachhaltigkeitsthemen für ein Unternehmen. Strukturiert ermitteln Unternehmen so welche ESG-Themen die größten Auswirkungen haben oder von größter finanzieller Bedeutung sind. Damit können Schwerpunkte gesetzt werden, um Ressourcen effizienter zu nutzen und strategische Entscheidungen für die Zukunft zu treffen.
Warum ist eine Wesentlichkeitsanalyse nötig?
Die Wesentlichkeitsanalyse macht Nachhaltigkeit handhabbar. Unternehmen können so konkrete Maßnahmen ergreifen, die durch die Berichtspflicht erforderlich geworden sind. Diese orientiert sich an der CSRD.
Die Wesentlichkeitsanalyse ist damit ein entscheidender Bestandteil der Berichtsanforderungen. Ziel der Analyse ist die Identifikation und Bewertung verschiedener Nachhaltigkeitsthemen sowie deren Relevanz für das Unternehmen und seine Stakeholder. Dazu werden Auswirkungen, Chancen und Risiken (IRO – Impacts, Risks, Opportunities) näher betrachtet. Konkret steht am Ende der Wesentlichkeitsanalyse eine Liste bzw. Matrix der wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen, die das Unternehmen angehen sollte. Dazu werden Ziele formuliert und Maßnahmen sowie Indikatoren definiert, um eine Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln, die zur Verbesserung der Nachhaltigkeitsleistung beiträgt. Neben der Strategie können die Ergebnisse verwendet werden, um auch Kommunikation, Ziele und Berichterstattung zu lenken.
Zwei Dimensionen: Was ist die doppelte Wesentlichkeitsanalyse?
Alles eine Frage der Perspektive – das hat sich auch die EU gedacht. Inzwischen gilt die Verwendung der doppelten Materialität. Damit werden deutlich mehr Themen als wesentlich erachtet, als zuvor. Um eine Priorisierung vornehmen zu können, muss die gesamte Wertschöpfungskette des Unternehmens betrachtet werden. Nun gilt, dass alle Offenlegungsanforderungen, einschließlich klimabezogener Informationen, einer Wesentlichkeitsbewertung unterzogen werden müssen. ESRS 2 gibt wesentliche offenzulegende Informationen an und ist für alle Unternehmen im Geltungsbereich der CSRD obligatorisch.
Die ESRS unterteilt die doppelte Wesentlichkeit in zwei Kategorien: Wesentlichkeit der Auswirkungen (die "Inside-Out"-Perspektive) und finanzielle Wesentlichkeit (die "Outside-In"-Perspektive). Dabei werden Nachhaltigkeitsaspekte hinsichtlich der finanziellen Chancen und Risiken für das Unternehmen (Outside-In) als auch hinsichtlich der Auswirkungen der eigenen Geschäftstätigkeiten auf Mensch und Umwelt (Inside-Out) geprüft.
Damit ein Thema als wesentlich und damit berichtspflichtig gilt, muss eines dieser beiden Kriterien erfüllt sein. Damit wird Unternehmen deutlich, dass Nachhaltigkeitsaspekte aus zwei Perspektiven betrachtet werden müssen. Sie sind nicht nur betroffen, sie tragen auch Verantwortung für ihre Aktivitäten, ob positiv oder negativ. Für jeden der Nachhaltigkeitsaspekte, die nach den ESRS geregelt sind, ist die doppelte Wesentlichkeit zu bewerten.
Elemente der Wirkungs- und Finanzperspektive:
Die zugrundeliegenden Kriterien, um die Bedeutung der Auswirkung beurteilen zu können, lauten:
- Ausmaß (scale)
- Tragweite (scope)
- Behebbarkeit (irremediable character)
Es gilt ausschließlich, mögliche Auswirkungen auf diese Kriterien hin zu betrachten. Bei negativen Auswirkungen ist deren Behebbarkeit zu prüfen. Bereits eingetretene Auswirkungen können nicht auf ihre Wahrscheinlichkeit evaluiert werden, da diese bereits 100 Prozent beträgt. In allen anderen Fällen sind sie auf ihre Folgedauer zu betrachten, egal ob kurz-, mittel- oder langfristig.
Im Hinblick auf die finanzielle Wesentlichkeit wurden die Elemente in Form von Risiken und Chancen weiter konkretisiert. Zudem spielt die Höhe der Eintrittswahrscheinlichkeit eine Rolle sowie die Reichweite der Folgen. Dazu gibt es weitere Leitlinien, die zu beachten sind. Dies bezieht sich sowohl auf Auswirkungen, Chancen und Risiken, die direkt mit der eigenen Geschäftstätigkeit verbunden sind, als auch auf solche entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
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Wie geht man bei einer Wesentlichkeitsanalyse vor?
Veränderte Regularien führen zu neuen Vorgehensweisen, da nun alle Nachhaltigkeitsthemen geprüft werden müssen. Orientierung bei der Prüfung der doppelten Wesentlichkeit bieten Rahmenwerke wie LEAP (Locate, Evaluate, Assess, Prepare). 1 Neben der Einbindung von Stakeholdern, kann ein Rahmenwerk bei der Umsetzung helfen, um Informationen zu den Geschäftstätigkeiten in der Wertschöpfungskette zu erhalten. Die Auswirkungen, Risiken und Chancen der Nachhaltigkeitsthemen entlang der Wertschöpfungskette können dann sowohl im Inside-Out- als auch im Outside-In-Ansatz entsprechend beschrieben und bewertet werden:
- Lokalisieren
Es gilt, die Nachhaltigkeitsthemen zu identifizieren, die das Unternehmen betreffen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass verschiedene Geschäftsprozesse, Dienstleistungen und Produkte Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit des Unternehmens haben oder von Auswirkungen betroffen sind. Die Identifikation der betroffenen Bereiche ist daher von grundlegender Bedeutung.
- Beschreiben
Mithilfe von Leitfragen lassen sich die Auswirkungen, Chancen und Risiken beschreiben. Da nicht eine Person, eine Abteilung das Wissen des ganzen Unternehmens zu allen Themen hat, ist es ratsam, Stakeholder bei diesem Prozess zu involvieren. Auf diese Weise lassen sich Geschäftsbeziehungen entlang der Wertschöpfungskette prüfen.
- Bewerten
Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse müssen die Auswirkungen bewertet und eingeordnet werden. Zudem ist eine klare Einordnung von Chancen und Risiken vorzunehmen.
- Vorbereiten
Die Darstellung und Präsentation von Ergebnissen sowie die Ableitung von Maßnahmen sind zentrale Punkte. Die entsprechenden Handlungsanweisungen ergeben sich aus der Beantwortung dieser Fragen.
Die Doppelte Wesentlichkeit deckt es bereits ab, aber es sei erwähnt, dass alle erforderlichen Nachhaltigkeitsthemen integriert werden müssen (s. ESRS). Dazu gehören sektorunspezifische, sektorspezifische und schließlich auch unternehmensspezifische Nachhaltigkeitsthemen.
New Normal: Risiken kennen und Chance nutzen
Die Wesentlichkeitsanalyse ist ein Instrument, dass Sie nutzen müssen, um Ihre Unternehmensaktivitäten in allen drei Feldern – Ökologie, Soziales und Ökonomie in beiden Dimensionen abbilden und analysieren zu können. So lassen sich Aussagen für die Zukunft treffen und der Nachhaltigkeitsbericht wird handhabbar. Dabei sind die Herausforderungen natürlich individuell und während für manche der erste Schritt der schwerste ist, lassen sich manche später im Schnelldurchlauf erledigen. Dabei müssen Unternehmen bedenken, dass Wesentlichkeitsanalyse und Nachhaltigkeitsbericht bald zum New Normal gehören, wie auch die finanzielle Berichterstattung. Die Wesentlichkeitsanalyse und der Nachhaltigkeitsbericht sind wiederkehrende Prozesse, die einer regelmäßigen Überprüfung bedürfen. So haben Unternehmen u. a. die Chance ihre Strategie regelmäßig anzupassen und Ressourcen effizient zu priorisieren. Denn: Wer seine Risiken und KPIs genau kennt, kann informierte Entscheidungen treffen, schafft Raum für Innovationen und stärkt auch das Vertrauen der Stakeholder in das Unternehmen.
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